Eine gemäß § 17
Abs. 1
KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige kann wirksam erstattet werden,
wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit
bereits zur Kündigung entschlossen ist. Diese Klarstellung erfolgt durch das Bundesarbeitsgericht
mit Urteil vom 13.06.2019 zum Aktenzeichen 6 AZR 459/18.
Zugang
Anzeige bei Arbeitsamt vor Zugang der Kündigung
Die Kündigungen im
Massenentlassungsverfahren sind – vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger
Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die Massenentlassungsanzeige bei der
zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das
Kündigungsschreiben zugegangen ist.
Kläger hoffte mit EuGH-Rechtsprechung zum Erfolg zu kommen
Das Kündigungsschreiben ging dem hier
vorliegenden Kläger am 27.06.2017 zu. In seiner Kündigungsschutzklage machte er
auch geltend, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
habe der Arbeitgeber auch seiner Anzeigepflicht vor einer Entscheidung zur
Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachzukommen. Deshalb war er der Meinung, die
Unterschrift unter das Kündigungsschreiben, mit der die Kündigungserklärung
konstitutiv geschaffen werde, erst erfolgen dürfe, nachdem die
Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist.
Landesarbeitsgericht bestätigt klägerische Auffassung
Das Landesarbeitsgericht ist der
Auffassung des Klägers gefolgt. Es hat der Berufung des Klägers gegen das
klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts stattgegeben. Die Anzeige müsse die
Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung
treffe, was sich in der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens manifestiere,
so das Landesarbeitsgericht.
Klarstellung des Bundesarbeitsgerichts: Die
Massenentlassungsanzeige dient beschäftigungspolitischen Zwecken
Die Revision des Beklagten hatte beim
Bundesarbeitsgericht Erfolg. Dieses nahm die Zurückverweisung des Rechtsstreits
an das Landesarbeitsgericht vor. Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass
selbstständig neben dem nach § 17
Abs. 2
KSchG durchzuführenden Konsultationsverfahren stehende, in § 17
Abs. 1,
Abs. 3
Sätze 2 bis 5 KSchG geregelte Anzeigeverfahren diene beschäftigungspolitischen
Zwecken. Die zuständige Agentur für Arbeit solle rechtzeitig über eine
bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung
einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre
Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Hierzu müsse bereits
feststehen, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen.
Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung könne, solle und wolle
die Agentur für Arbeit – anders als der Betriebsrat im Rahmen des
Konsultationsverfahrens – keinen Einfluss nehmen, so das Bundesarbeitsgericht.
Bei der zuständigen Behörde ist der Eingang erforderlich
Zutreffend dürfe die Kündigung erst
dann erfolgen, also dem Arbeitnehmer zugehen (§ 130
Abs. 1
BGB), wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit
eingegangen ist. Dies sei durch die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3
und Art. 4
der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) geklärt. Es kommt somit
nicht auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Kündigung, sondern auf den
Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim Arbeitnehmer an.
Die Zurückweisung führt dazu, dass die Vorinstanz erneut
entscheiden muss
Das Bundesarbeitsgericht konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht werde aufzuklären haben, ob die Massenentlassungsanzeige inhaltlich den Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte und ob das Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet wurde. Diese weiteren Voraussetzungen sind durch das Landesarbeitsgericht aufzuklären.
Weitere Informationen unter: www.kuendigungsschutz-arbeitnehmer.de