Beweislastumkehr keine Strafe

Die Beweislastumkehr in Arzthaftungsprozessen stellt keine Strafe für das möglicherweise fehlerhafte ärztliche Handeln dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Behandlungsfehler „als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.“ Urteil des BGH vom 25.10.2011 zum Aktenzeichen VI ZR 139/10

Durch die Feststellung des Fehlers als groben Behandlungsfehler hat nicht mehr der Patient, sondern der Arzt die Beweislast. Dies ist von erheblicher Bedeutung, da der Ausgang vieler Arzthaftungsprozesse von der Beweislast abhängig ist. Es kann für den Prozess und dessen Ausgang von Bedeutung sein, ob der Patient nachweisen muss, dass das fehlerhafte ärztliche Handeln für die eingetretenen Folgen ursächlich ist. Häufig sind theoretisch mehrere Ursachen möglich. Bei der Beweislastumkehr muss der Arzt nachweisen, dass die Folgen auch eingetreten wären, wenn der Arzt keinen Fehler gemacht hätte. Auch dieser Beweis ist häufig schwierig zu führen. Wer die Beweislast hat, jedoch den Beweis nicht erbringen kann, kann den Prozess allein deshalb verlieren, weil er den Beweis nicht erbringen konnte. Daher wird sich in Arzthaftungsprozessen wie auch in anderen Prozessen häufig darum gestritten, wer die Beweislast hat.

Das Gericht hat in der genannten Entscheidung zugleich klargestellt, „dass die Annahme einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden ist, sondern daran anknüpft, dass die Aufklärung des Behandlungsfehlers sowie seiner Bedeutung für die Behandlung in besonderer Weise erschwert worden ist, so dass der Arzt dem Patienten den Kausalitätsbeweis nach Treu und Glauben nicht zumuten kann.“

Haushaltsführungsschaden

Bei einer Verletzung einer Person, wie bei Unfällen oder ärztlichen Kunstfehlern, muss der Schädiger, bzw. dessen Versicherung den Haushaltsführungsschaden ersetzen. Dieser Schadensersatz steht dem Geschädigten zusätzlich zum Schmerzensgeld, Verdienstausfall und anderen Schadenspositionen zu. Nicht selten übertrifft der Haushaltsführungsschaden den Umfang des Schmerzensgeldes. Infolge der Gesundheitsschädigung kann der Haushalt und Garten nicht mehr selbst bewirtschaftet werden oder es wird mehr Zeit als bisher benötigt. Die Hausarbeit – egal ob bei Mann, Frau oder Kind – lässt sich in Geld umrechnen. Im Umfang der Minderung der Erwerbstätigkeit bei der Haushaltsführung ist vom Schädiger Ersatz in Geld zu leisten. Zur Bestimmung des Haushaltsführungsschadens sind umfangreiche Ermittlungen und Berechnungen und gegebenenfalls sogar Sachverständigengutachten erforderlich. Wegen der vielen rechtlichen Unwägbarkeiten empfiehlt es sich, hierbei anwaltliches Fachwissen in Anspruch zu nehmen. Die erforderlichen Rechtsanwaltskosten stellen in der Regel ebenfalls eine vom Schädiger zu ersetzende Schadensposition dar.

Zunächst wird festgestellt, welche Art von Haushalt besteht, wie kleine oder große Wohnung, mit oder ohne Garten, welche Haushaltsgeräte, welche Haus- und Gartenarbeiten anfallen. In einem zweiten Schritt wird festgestellt, wer aus der Familie in welchen Umfang diese Hausarbeiten erledigte, insbesondere in welchem Umfang der Geschädigte vor dem zur Haushaltsführung beitrug. Anschießend ist festszustellen, welche Arbeiten durch den Geschädigten nicht mehr, bzw. mit einem erheblich höheren zeitlichen Aufwand erledigt werden können. Wird der Haushaltsführungsschaden geltend gemacht, ist es nicht erforderlich, eine Haushaltshilfe einzustellen. Die Arbeit kann auch von anderen Familienmitgliedern übernommen werden.

Aufklärung bei Privatbehandlung

Der Arzt muss eine Aufklärung des gesetzlich Versicherten vornehmen, wenn eine Behandlung durchgeführt wird, welche nicht zum Umfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Dies wird auch Pflicht des Arztes zur wirtschaftlichen Aufklärung genannt.

Wenn ein gesetzlich Versicherter auf Grund unzureichender Aufklärung des Vertragsarztes davon ausgeht, er erhalte eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse, dann muss die Krankenkasse die Behandlungskosten auch dann übernehmen, wenn der Versicherte beim Arzt einen Privatbehandlungsvertrag unterzeichnet hat. (Urteil des Landessozialgerichts Hessen vom 28.04.2011 zum Aktenzeichen L 8 KR 313/08)

Vorliegend hatte der Arzt neben einen Überweisungsschein auch ein Formular für private Behandlungen unterzeichnen lassen und eine nicht von der gesetzlichen Krankenkasse anerkannte neue Behandlungsmethode gewählt. Der Fehler des Arztes lag darin, dass er die neue Behandlungsmethode wählte, obwohl auf der Verordnung eine anerkannte Behandlungsmethode ausgewiesen war. Das Gericht entschied, dass die Krankenkasse sich das Fehlverhalten des Arztes zurechnen lassen muss und nicht die Patientin. Das Landessozialgericht hatte nicht über die Haftung des Arztes zu entscheiden. Jedoch musste die Patientin die anteiligen Kosten ab dem Zeitpunkt selbst übernehmen, zu welchem die Krankenkasse ihrer Versicherten mitteilte, dass sie die Kosten für die gewählte Behandlungsmethode nicht übernehmen werde. Ab diesem Zeitpunkt hätte sich die Klägerin für eine andere Behandlungsmethode entscheiden können, welche sich im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse befindet.

Patientenakte – Einsichtsrecht

Jeder Patient hat das Recht, in seine Patientenakte einzusehen. Hierzu bedarf es keiner Begründung. Dies kann unter anderem wichtig sein bei vermuteten Fehlern des Arztes, Krankenhauses, der Pflege- oder der Rehabilitationseinrichtung. Auch für die Verfolgung von Ansprüchen gegen private Versicherungen oder gesetzliche Versicherungen wegen Krankheit, Unfall oder Erwerbsunfähigkeit sind die Patientenakten von erheblicher Bedeutung.

In den Patientenunterlagen sind u.a. die Dokumentationen zum Aufklärungsgespräch, Laborergebnisse, Röntgenaufnahmen, Diagnosen, Medikamente, aber auch Angaben zu Prothesen und Implantaten enthalten.

Das gleiche Recht steht Angehörigen oder Erben des Patienten zu, wenn sie ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Patientenunterlagen haben. Dieses Interesse kann mit der Vorlage einer Vorsorgevollmacht, des Betreuerausweises oder Erbscheins erfolgen.

Der Arzt hat jedoch Anspruch auf die entsprechenden Kopierkosten. Das Anforderungsschreiben sollte enthalten, für welchen Zeitraum, welche Patientenunterlagen oder ob die gesamten Patientenunterlagen angefordert werden. Gerade in Arzthaftungssachen ist eine vollständige Patientenakte von großer Bedeutung. In der Regel muss der Patient nachweisen, dass der Arzt oder das Krankenhaus Fehler gemacht hat und diese Fehler zu den eingetretenen Folgen geführt haben. Sind Patientenunterlagen lückenhaft, muss der Arzt nachweisen, dass auch nicht dokumentierte Aufklärungen, Diagnosen, Behandlungen usw. erfolgt sind. Ansonsten wird davon ausgegangen, dass diese nicht durchgeführt wurden.

Sollte es zu Verzögerungen bei der Einsicht oder Kopie der Patientenakte kommen oder verweigert der Arzt oder das Krankenhaus die Einsicht oder Kopie der Patientenakte, sollte ein auf das Arzthaftungsrecht spezialisierte Rechtsanwalt hinzugezogen werden. Dies sind zum Beispiel die Fachanwälte für Medizinrecht.

Recht auf ärztliche Aufklärung

Eine ärztliche Behandlung ist in der Regel ein Eingriff an oder in den Körper des Patienten. Der Arzt muss vor Behandlungsbeginn den Patienten in einem persönlichen Gespräch umfassend über den Behandlungsverlauf und Therapieverläufe, mögliche Risiken und Behandlungsalternativen aufklären. Auf dieser Grundlage kann der Patient selbst bestimmen, ob er diese oder eine andere Behandlung oder auch überhaupt keine Behandlung an seinem Körper durch den Arzt oder das Krankenhaus vornehmen lässt. Im Aufklärungsgespräch kann der Patient Rückfragen stellen und Unklarheiten ausräumen lassen. Der Patient hat auch das Recht, vor Behandlungsbeginn eine ärztliche Zweitmeinung einzuholen.

Das Aufklärungsgespräch sollte dokumentiert werden und der Patienten sich eine Kopie vom Aufklärungsbogen geben lassen, dass er auch zu Hause in Ruhe seine Entscheidung fällen kann oder sogar im Ergebnis noch weitere Nachfragen stellen kann.

Im Falle eines ärztlichen Kunstfehlers dient die Aufklärungsdokumentation dem Arzt und Patienten zusätzlich zum Beweis, über was, in welchen Umfang usw. aufgeklärt wurde. Eine unterlassene oder fehlerhafte, wie auch unvollständige Aufklärung kann bis zu Schadensersatzansprüchen führen. Durch eine gute Aufklärung und vollständige Dokumentation können Rechtsstreitigkeiten vermieden werden.

Ärzte und Patienten sollen sich bei Streit um die richtige und volllständige Aurklärung bei einen auf das Arztrecht spezialierten Rechtsanwalt beraten. Dies wäre zum Beispiel ein Fachanwalt für Medizinrecht. Bei rechtzeitiger fachkundiger Beratung können langwierige Auseinandersetzungen oder Gerichtsverfahren möglichst ersparrt werden.

Grober Behandlungsfehler

Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, erleichtert dies dem Patienten, die Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche. In Arzthaftungssachen ist für die Durchsetzung der Ansprüche häufig entscheidend, wer was zu beweisen hat. Grundsätzlich hat der Patient die Beweislast für den Fehler und dass der Fehler zu den eingetretenen Folgen geführt hat. Liegt jedoch ein grober Behandlungsfehler vor, muss der Behandelnde beweisen, dass die eingetretenen Folgen ihre Ursache nicht im Behandlungsfehler haben. Eine Missachtung der gesicherten medizinischen Erkenntnisse lassen in aller Regel den Behandlungsfehler als einen groben Behandlungsfehler erscheinen. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 20.09.2011 bestätigt, dass gesicherte medizinischer Erkenntnisse „nicht nur die Erkenntnisse sind, die Eingang in Leitlinien, Richtlinien oder anderweitige ausdrückliche Handlungsanweisungen gefunden haben. Hierzu zählen vielmehr auch die elementaren medizinischen Grundregeln, die im jeweiligen Fachgebiet vorausgesetzt werden.“

Im vorliegenden Fall erlitt eine Patientin infolge einer Operation zur Entfernung der Mandeln derartige Gehirnstörungen, dass ihr die Pflegestufe 3 von der Pflegeversicherung zuerkannt wurde. Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück verwiesen und dieses muss nunmehr bei der Beurteilung des Falls die genannte Auffassung des Bundesgerichtshofs zum groben Behandlungsfehler berücksichtigen.

Der Nachweis eines groben Behandlungsfehlers ist häufig schwierig. Daher sollte frühzeitig ein auf das Arzthaftungsrecht spezialisierte Rechtsanwalt hinzugezogen werden, wie zum Beispiel ein Fachanwalt für Mezinrecht. Dieser wird mit Ihnen zusammen umfangreich den Sachverhalt ermitteln, Patientenunterlagen beschaffen, auswerten und das weitere Vorgehen absprechen. Je nach Sachverhalt kann es sinnvoll sein, den Medizinischen Dienst der Krankenkasse für eine Gutachtenerstellung zu nutzen, ein Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle für Arzthaftungsfragen durchzuführen oder in Ausnahmefällen unverzüglich das gerichtliche Verfahren zu betreiben.

Pflicht zur Aufklärung über die Alternative einer Schnittentbindung

Der Arzt hat bei einer Schnittentbindung eine Pflicht zur Aufklärung. Ein seit der Geburt schwerstgeschädigter Kläger hatte die Beklagte als geburtsleitende Ärztin auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine „Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit erforderlich, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.“ Nach diesem allgemeinen Grundsatz braucht der geburtsleitende Arzt in einer normalen Entbindungssituation ohne besonderen Grund die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht ansprechen, wenn bei einer vaginalen Geburt für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen und diese bei Berücksichtigung der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt, ist über die Alternative einer Schnittentbindung aufzuklären. Allein die Dauer der Geburt kann die Notwendigkeit der Aufklärung über die Möglichkeit einer Schnittentbindung ergeben. Wurde diese Aufklärung unterlassen und der Kläger erleidet durch den Geburtsvorgang eine Schädigung, welche bei einer Schnittentbindung nicht eingetreten wäre, dann können die Schadensersatzansprüche berechtigt sein.

In solchen Fällen empfiehlt es sich, bereits frühzeitig einen auf das Arzthaftungsrecht spezialliseirten Rechtsanwalt einzuschalten, wie zum Beispiel einen Fachanwalt für Medizinrecht. Dieser wird mit Ihnen zusammen zunächst die erforderlichen Unterlagen, wie vollständige Patientenunterlagen beschaffen und anhand dieser das weitere Vorgehen entscheiden. Das kann die Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse, die Anrufung der Schlichtungsstelle für Arzthaftungsfragen, die gerichtliche oder ausßergerichtliche Klärung sein.

Schmerzensgeld 600.000,00 €

Das Kammergericht Berlin hat mit Urteil vom 16.02.2012 zum Aktenzeichen 20 U 157/10 ein Schmerzensgeld in Höhe von 650.000,00 € aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers zugesprochen. Diese Größenordnung des Schmerzensgeldes ist ein neuer Schritt in der Rechtsprechung deutscher Gerichte. Selbst bei Geburtsschäden, welche erhebliche lebenslängliche Beeinträchtigungen mit sich bringen, ist ein so hohes Schmerzensgeld nicht üblich. Vorliegend hat sich ein Kind im Alter von ca. 4 ½ Jahren den Arm gebrochen. Infolge von Fehlern bei der Operation kam es zu einem schweren Hirnschaden des Kindes. Das Kind ist nunmehr in der Pflegestufe III, wird über eine Sonde ernährt, ist zu 100 Prozent schwerbehindert, leidet an einem apallischen Syndrom mit Ausfallerscheinungen der Großhirnfunktion und an Lähmungen aller vier Gliedmaßen. Die Richter sahen dieses hohe Schmerzensgeld für angemessen an, da anders als bei Geburtsschäden bei dem Kind die Möglichkeit besteht, dass es sich an den Zustand vor der Operation erinnern könne und ihm die Beschränktheit und Ausweglosigkeit seiner jetzigen Situation in gewisser Weise bewusst sei.

Neben dem Schmerzensgeld sind weitere Schadensersatzpositionen möglich, wie Pflegekosten, Behandlungskosten, Anpassung der Wohnung, späterer Verdienstausfall und Haushaltsführungsschaden.

In solchen Fällen ist es empfehlenswert, dass der Rechtsanwalt neben einer Spezialisierung im Bereich des Medizinrechts und des Arzthaftungsrecht zusätzlich eine Spezialisierung im Bereich des Sozialrechts hat. Dies sind zum Beispiel Rechtsanwälte, welche Fachanwalt für Medizinrecht und zusätzlich Fachanwalt für Sozialrecht sind. Bis die Durchsetzung von Schadensersatzforderungen – häufig über Jahre – zu tatsächlichen Zahlungen führt, müssen häufig verschiedene Sozialkassen in Anspruch genommen werden, wie Krankenversicherung, Pflegeversicherung oder auch das Sozialamt.