Kündigung zum nächst zulässigen Termin

Kündigung muss auch eindeutig bezüglich des Termins der Beendigung sein.

Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 20.01.2016 zum Aktenzeichen 6 AZR 782/14 damit auseinandergesetzt, wie konkret bestimmt eine Kündigung des Arbeitgebers sein muss, hier zu welchen konkreten Termin. Vorliegend hatte der Arbeitgeber „zum nächstzulässigen Termin“ gekündigt. Im Leitsatz des Gerichts heißt es unter anderem:

1. des Kündigenden erhält. Der Kündigungsadressat muss auch erkennen können, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aus Sicht des Kündigenden beendet sein soll. Im Fall einer ordentlichen Kündigung genügt regelmäßig die Angabe des Kündigungstermins oder der Kündigungsfrist.

2. Eine Kündigung „zum nächstzulässigen Termin“ ist möglich, wenn dem Erklärungsempfänger die Dauer der Kündigungsfrist bekannt oder für ihn bestimmbar ist. Letzteres ist der Fall, wenn die rechtlich zutreffende Frist für den Kündigungsadressaten leicht feststellbar ist und nicht umfassende tatsächliche Ermittlungen oder die Beantwortung schwieriger Rechtsfragen erfordert. Die maßgebliche Kündigungsfrist kann sich aus Angaben im Kündigungsschreiben oder aus einer vertraglich in Bezug genommenen tariflichen Regelung ergeben.

3. Wird eine ordentliche Kündigung nicht isoliert erklärt, sondern nur hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, ist der Kündigungsempfänger nicht im Unklaren darüber, wann das Arbeitsverhältnis nach der Vorstellung des Kündigenden enden soll. Die Beendigung soll dann offensichtlich bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung erfolgen. Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, ob es dem Kündigungsempfänger ohne Schwierigkeiten möglich ist, die Kündigungsfrist der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung zu ermitteln.

Ratgeber

Rechtsprechung

Erwerbsminderungsrente einklagen

Was tun, wenn der Antrag auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt wurde?

Wenn Sie die Ablehnung der Rente nicht akzeptieren möchten oder unsicher sind, ob die Rente berechtigt abgelehnt wurde, können Sie in einem formlosen Brief Widerspruch bei der Rentenversicherung einlegen. Es reicht, wenn Sie schreiben: „Hiermit lege ich gegen Ihren Bescheid vom … Widerspruch ein.“ Erhalten Sie darauf eine Ablehnung, können Sie beim Sozialgericht klagen. Schreiben Sie dem Gericht formlos: „Hiermit erhebe ich Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Rentenversicherung vom …, den ich in Kopie beifüge.“ Für beide Schritte haben Sie jeweils einen Monat Zeit. Für die Einhaltung der Frist zählt der Eingang Ihres Schreibens beim Empfänger.

Welche Kosten erwarten mich?

Für Widerspruch und Klage müssen Sie nichts bezahlen. Sie müssen auch keinen Anwalt hinzuzuziehen. Möchten Sie das tun, tragen Sie die Kosten dafür selbst. Eventuell sind die Anwaltskosten über Ihre Rechtschutzversicherung abgedeckt. Ob Ihnen Prozesskostenhilfe zusteht, können Sie zusammen mit Ihrer Klage formlos erfragen, indem Sie schreiben: „Zugleich beantrage ich Prozesskostenhilfe für die Beiordnung von Rechtsanwalt …“ Das Gericht prüft dann, ob Ihnen diese Hilfe zusteht.

Muss ich eine Begründung abgeben?

Einen Widerspruch und eine Klage müssen Sie nicht begründen. Allerdings kann eine Begründung Ihre Erfolgsaussichten verbessern. Geben Sie daher alle Krankheiten und deren Verlauf sowie alle Ärzte und Therapeuten an, die Sie behandeln. Bestehen Sie darauf, dass die Rentenversicherung und das Gericht dort die aktuellen Befundberichte einholen. Es reicht erneut ein formloser Brief: „Hiermit beantrage ich, bei den folgenden Ärzten aktuelle Befundberichte einzuholen …“

Darüber hinaus können Sie selbst bei Ihren Behandlern sämtliche medizinischen Unterlagen und Gutachten in Kopie anfordern. Nach dem Patientenrechtegesetz müssen sie Ihnen diese Informationen bereitstellen. Sie selbst tragen nur die Kopierkosten. Besprechen Sie sich falls nötig mit Ihren Behandlern dazu. Das Ergebnis teilen Sie der Rentenversicherung und dem Gericht formlos mit. Drängen Sie dabei darauf, dass ein neues Gutachten eingeholt wird, dass Ihren gesamten Gesundheitszustand berücksichtigt.

Erwerbsminderungsrente einklagen

Abfindung nach Kündigung durch Arbeitgeber

„Eine Abfindung bekomme ich immer, wenn ich gekündigt werde!“

Stimm das? Oder muss ich um sie kämpfen?

Es besteht der weit verbreitete Irrglauben, dass man infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber immer eine Abfindung bekommt. Dies ist jedoch nicht so. Die Wenigsten haben in Ihrem Arbeitsvertrag eine Abfindungsvereinbarung. Existiert ein Betriebsrat, kann ein Sozialplan vorliegen. Aus diesem ergibt sich, für welche Fälle und in welcher Höhe eine Abfindung zusteht. Vereinzelt wird bei der Kündigung auch freiwillig vom Arbeitgeber gezahlt.

Der häufigste Abfindungsfall ist jedoch der arbeitsgerichtliche Vergleich. Hier zahlt der Arbeitgeber zur Vermeidung von Prozessrisiken einen Abfindungsbetrag. Hat man keinen vertraglichen oder gesetzlichen Anspruch oder will man die angebotene Zahlung erhöhen, muss man als Arbeitnehmer innerhalb von 3 Wochen eine Kündigungsschutzklage erheben. Je höher das Risiko des Arbeitgebers ist, Sie gegen seinen Willen weiterbeschäftigen zu müssen, desto höher fällt in der Regel auch die Abfindungsvereinbarung aus.

In diesen Arbeitsgerichtsverfahren wird durch Ihren Rechtsanwalt zugleich geprüft, ob die Kündigung überhaupt rechtens ist, zusätzlich offene Vergütung geltend zu machen ist, noch Urlaubsansprüche bestehen oder das Zeugnis zu erteilen oder zu berichtigen ist. Versäumt man jedoch die dreiwöchige Klagefrist, kann das Arbeitsgericht die Kündigung nicht mehr prüfen und auch der Arbeitgeber hat keine Veranlassung bei versäumter Klagefrist die Abfindung zu erhöhen.

Anspruch auf Abfindung nach Kündigung durch Arbeitgeber, veröffentlicht im Wochenspiegel vom 26.03.2016

Arbeitgeber darf Browserverlauf auf private Internetnutzung prüfen

Den Browserverlauf des Dienstrechners des Arbeitnehmers darf Arbeitgeber zur Feststellung eines Kündigungssachverhalts  auszuwerten, ohne dass hierzu eine Zustimmung des Arbeitnehmers vorliegen muss.

Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung einen Dienstrechner überlassen. Eine private Nutzung des Internets war dem Arbeitnehmer allenfalls in Ausnahmefällen während der Arbeitspausen gestattet. Nachdem Hinweise auf eine erhebliche private Nutzung des Internets vorlagen, wertete der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Arbeitnehmers den Browserverlauf des Dienstrechners aus. Er kündigte anschließend das Arbeitsverhältnis wegen der festgestellten Privatnutzung von insgesamt etwa fünf Tagen in einem Zeitraum von 30 Arbeitstagen aus wichtigem Grund.

Das Landesarbeitsgericht hält die außerordentliche Kündigung für rechtswirksam. Die unerlaubte Nutzung des Internets rechtfertige nach Abwägung der beiderseitigen Interessen eine sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Hinsichtlich des Browserverlaufs liege kein Beweisverwertungsverbot zu Lasten des Arbeitgebers vor.

Zwar handele es sich um personenbezogene Daten, in deren Kontrolle der Arbeitnehmer nicht eingewilligt habe. Eine Verwertung der Daten sei jedoch statthaft, weil das Bundesdatenschutzgesetz eine Speicherung und Auswertung des Browserverlaufs zur Missbrauchskontrolle auch ohne eine derartige Einwilligung erlaube und der Arbeitgeber im vorliegenden Fall keine Möglichkeit gehabt habe, mit anderen Mitteln den Umfang der unerlaubten Internetnutzung nachzuweisen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht zugelassen, dass das Urteil aktuell noch nicht rechtskräftig ist.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.01.2016 zum Aktenzeichen 5 Sa 657/15

Fundstelle: Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 12.02.2016

Patientenakte ist vollständig herauszugeben

Der Anspruch auf Herausgabe der Patientenakte in Kopie ist nur erfüllt, wenn der Arzt sämtliche Unterlagen in lesbarer Kopie gegen Kostenerstattung zur Verfügung stellt. Ein Zurückbehaltungsrecht an den Unterlagen wegen einer noch offenen Behandlungsrechnung besteht nicht.

Die Klägerin war eine Krankenkasse. Die bei ihr versicherte Patientin war bei der beklagten Zahnärztin in Zahnbehandlung. Die versicherte Patientin gab nach der Behandlung gegenüber ihrer Kasse an, dass die Zahnärztin eine Behandlung an ihr vorgenommen habe, die nicht besprochen war und dabei eine Krone zerstört worden sein soll. Sie leide an Schmerzen und einem bitteren Geschmack im Mund. Die Patientin entband die Zahnärztin von ihrer Schweigepflicht und erklärte sich mit der Herausgabe der Patientenakte an ihre Krankenversicherung einverstanden. Die Krankenversicherung forderte die Patientenakte (Krankenunterlagen) der bei ihr versicherten Patientin bei der Zahnärztin an. Diese reagierte nicht, dass eine Klage gegen die Zahnärztin auf Herausgabe der Krankenunterlagen in Kopie gegen Erstattung der Kopierkosten notwendig wurde. Erst dann legte die Zahnärztin einen Teil der Krankenunterlagen vor, wobei die Kopien der Röntgenaufnahmen nicht auswertbar waren wegen ihrer schlechten Qualität. In der Verhandlung vor dem Amtsgericht übergab die Zahnärztin den elektronischen Karteikartenausdruck über die Behandlung der Patientin und erklärte, dass in ihren Praxisräumen das Original der Röntgenaufnahmen angesehen werden könne. Die Zahnärztin machte ein Zurückbehaltungsrecht an den Unterlagen geltend, da die Rechnung für die Behandlung noch nicht bezahlt sei.

Das Gericht gab der Klage Recht. Die Krankenkasse könne verlangen, dass die Zahnärztin gegen Kostenerstattung Kopien von den kompletten Patientenunterlagen fertigt und an die Versicherung herausgibt. Der Patient habe Anspruch auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen hat, ohne dass er dazu ein besonderes Interesse darlegen müsse. Dieser Anspruch sei auf die Versicherung übergegangen wegen eines möglicherweise bestehenden Anspruchs auf Schadensersatz wegen fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung.

Der Anspruch bestehe auch in vollem Umfang fort, obwohl die Zahnärztin einen Teil der Unterlagen im Prozess vorgelegt habe. Denn jedenfalls zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht hätten keine lesbaren Kopien der Röntgenunterlagen vorgelegen. Durch die Vorlage der übrigen Patientenunterlagen sei keine Erfüllung eingetreten, da der Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenunterlagen als einheitlicher Anspruch erst dann erfüllt sei, wenn die Einsicht in die vollständigen Patientenunterlagen gewährt wurde. Es sei auch keine teilweise Erfüllung eingetreten, da der Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenakten einheitlich und nicht teilbar sei.

Die Zahnärztin habe auch nicht das Recht, die Unterlagen zurück zu behalten, da die Behandlungsrechnung nicht bezahlt wurde. Der Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenunterlagen solle gerade die Feststellung eines möglichen Behandlungsfehlers ermöglichen, aufgrund dessen die Zahlung der Rechnung durch die Versicherte oder die Klägerin verweigert werde. Dies würde konterkariert, könnte dem Anspruch auf Einsichtnahme in die Krankenunterlagen ein Zurückbehaltungsrecht entgegengehalten werden.

Urteil Amtsgericht München vom 06.03.2015 zum Aktenzeichen 243 C 18009/14

Fundstelle: beck-aktuell

Dauer Urlaubsabgeltungsanspruch und dessen Vererbung

Zum Urlaubsabgeltungsanspruch hat das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 22.09.2015 zum Aktenzeichen 9 AZR 170/14 entschieden:

1. Ist ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, so gehen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche erst mit Ablauf des 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres unter. Dieser Verfall tritt vor diesem Zeitpunkt nicht bereits tageweise ein.

2. Dieser entstandene Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist vererbbar.

3. Ist der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, verfallen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche aufgrund der unionsrechtskonformen Auslegung des § 7 III 3 BUrlG erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Diese Urlaubsabgeltungsansprüche gehen mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres unter. Der Verfall tritt jedoch nicht bereits vor diesem Zeitpunkt tageweise ein.

4. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist ein reiner Geldanspruch und nicht Surrogat des Urlaubsanspruchs. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nicht als Äquivalent zum Urlaubsanspruch, sondern ein Aliud in Form eines selbstständigen Geldanspruchs.

5. Der entstandene Anspruch auf Urlaubsabgeltung geht auch nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers unter. Dieser Urlaubsabgeltungsanspruch ist vererbbar.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.09.2015 zum Aktenzeichen 9 AZR 170/14

Normen: BGB §§ 362, 1922; BUrlG §§ 1, 3, 7, 13; SGB IX § 125

Fundstelle: Beck-online, FD ArbR 2016, 374954

Behandlungsfehler Speiseröhrenverletzung

Schmerzensgeld von 20.000 Euro nach Behandlungsfehler Speiseröhrenverletzung

Wird die Speiseröhre im Verlauf einer Operation trotz fachgerechten ärztlichen Vorgehens verletzt, ist dies dann als Behandlungsfehler zu werten, wenn die Verletzung durch eine ärztliche Überprüfung der Lage der Speiseröhre während der Operation zu vermeiden war. Vorliegend wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro zugesprochen.

Der Patient hatte sich vom beklagten Facharzt für Neuro- und Wirbelsäulenchirurgie im Bereich der Halswirbelsäule an der Bandscheibe operieren lassen. Bei dem Eingriff mit Cage-Fusion und Prothesenimplantation kam es zur Verletzung der Speiseröhre, die mit einem weiteren Eingriff als Notfall operativ versorgt werden musste.

Der Patient musste etwa fünf Monate mittels einer Magensonde ernährt werden. Es bleiben Schluckbeschwerden, durch die der Patient voraussichtlich dauerhaft beeinträchtigt sein wird. Das Gericht hat in Übereinstimmung mit dem medizinischen Sachverständigen den Fehler als einfachen Behandlungsfehler gewertet. Die vom Kläger erlittenen Beeinträchtigungen, die nachweisbar auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen seien, rechtfertigten ein Schmerzensgeld von 20.000 Euro.

Das OLG räumt zwar ein, dass bei derartigen Bandscheibenoperationen die Speiseröhre auch bei einem regelgerechten ärztlichen Vorgehen verletzt werden könne. Der Beklagte habe die Speiseröhre aber behandlungsfehlerhaft verletzt, weil er ihre Lage während der Bandscheibenoperation nicht hinreichend überprüft habe. Hätte er ihre Lage vor der Präparation mittels Schere überprüft, wäre die Verletzung zu vermeiden gewesen. Nach den Angaben des Sachverständigen sei diese Überprüfung deswegen medizinisch geboten gewesen. Ausgehend hiervon stelle das Unterlassen der Kontrolle, die eine ansonsten auch bei sorgfältigem Vorgehen durchaus mögliche Schädigung des Patienten verhindert hätte, auch juristisch ein Behandlungsfehler dar, so das OLG Hamm in seinem Urteil vom 23.10.2015 zum Aktenzeichen 26 U 182/13.

Fundstelle: BeckRS 2015, 19510

Einwilligung beider Eltern in Operation erforderlich

Vertrauen des Arztes in die Einwilligung des abwesenden Elternteils bei einer Operation

Das OLG Hamm hat sich im Urteil vom 29.09.2015 zum Aktenzeichen 26 U 1/15 mit der erforderlichen Einwilligung beider Elternteile bei einem ärztlichen Eingriff auseinandergesetzt. Zusammenfassend wurde ausgeurteilt, dass ein Arzt bei einfachen bis mittel schweren Eingriffen darauf vertrauen darf, dass der sorgeberechtigte Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt hat. Das Gericht legt eine so genannte drei Stufen Lehre zugrunde.

  1. In Routinefällen darf der Arzt bis zum Vorliegen entsprechend entgegenstehender Umstände davon ausgehen, dass der mit dem Kind bei ihnen erscheinende Elternteil die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den anderen Elternteil miterteilen darf.
  2. Bei ärztlichen Eingriffen schwerer Art mit nicht unbedeutenden Risiken muss sich der Arzt vergewissern, ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen Elternteils habe. Sofern ihm mitgeteilt wird, dass der nicht erschienene Elternteil einverstanden ist, kann der Arzt von der wahrheitsgemäßen Auskunft ausgehen.
  3. Bei schwierigen und weitreichenden Entscheidungen über die Behandlung des Kindes, die mit erheblichen Risiken verbunden sind, muss auch die Einwilligung des abwesenden Elternteils vorliegen, der behandelnde Arzt muss sich vergewissern, dass das nicht erschienene Elternteil mit der Behandlung einverstanden ist.

Jeder medizinische Eingriff ist mit Risiken verbunden. Wenn sich eines dieser Risiken verwirklicht und keine wirksame Einwilligung vorlag, ist aufgrund der dann vorliegenden rechtswidrigen Körperverletzung der Arzt regelmäßig in der Haftung und muss über seine Berufshaftpflichtversicherung Schadensersatz leisten, der erheblich sein kann. Daher verlangen die Ärzte zunehmend pflichtgemäß den Nachweis der Einwilligung beider sorgeberechtigter Eltern. Sofern nur ein Elternteil den Arzttermin wahrnehmen kann, empfiehlt es sich, diesem die schriftliche Einwilligung des anderen Elternteils mitzugeben. So wird das Risiko der Nichtbehandlung mangels Vorlage des Einverständnisses beider Elternteile vermieden.

Schwerbehinderung – Schadensersatz – Fachanwalt für Arbeitsrecht

Schriftlicher Test ersetzt nicht Vorstellungsgespräch für schwerbehinderten Bewerber

Wird einem schwerbehinderten Bewerber, der das Anforderungsprofil erfüllt, nach einem nicht bestandenen schriftlichen, für alle Bewerber verbindlichen Auswahltest abgesagt, ohne ihn zum Vorstellungsgespräch einzuladen, stellt dies ein Indiz für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung dar, was die Zahlung einer Entschädigung nach sich ziehen kann.

Die Beklagte schrieb Ausbildungsplätze im dualen Studium zur Verwaltungsinformatikerin/zum Verwaltungsinformatiker Diplom (FH) aus. Voraussetzung war ausdrücklich eine „mindestens vollwertige Fachhochschulreife“. Der schwerbehinderte, entsprechend ausgebildete Kläger bewarb sich um den Studienplatz, nahm an dem bereits in der Ausschreibung erwähnten schriftlichen Eignungstest teil und fiel durch. Daraufhin erteilte ihm die Beklagte eine Absage.

Der Kläger verlangte von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung, weil er wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei. Seine Klage war sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht im Umfang von zwei Bruttomonatsvergütungen erfolgreich. Das Bestehen eines Eingangstests sei hier ausweislich der Ausschreibung keine Stellenanforderung gewesen, sondern bereits Teil des Auswahlverfahrens. Dabei hätte die Beklagte aber § 82 Satz 2 SGB IX beachten müssen. Ein fachlich geeigneter schwerbehinderter Bewerber sei danach vom öffentlichen Arbeitgeber immer zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Er solle etwaige Defizite in einem persönlichen Gespräch ausgleichen können. Unterbleibe die Einladung, werde nach dem Gesetz eine Diskriminierung aufgrund der Schwerbehinderung vermutet. Eine solche sei im entschiedenen Fall von der Beklagten nicht widerlegt worden, befand das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 09.09.2015 zum Aktenzeichen 3 Sa 36/15.

Fundstelle: beck-aktuell Nachrichten

Schäden durch Medizinprodukte und Arzneimittel

Im Bereich der Arzneimittelhaftung und der Medizinproduktehaftung hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Bedingungen für eine Prozessführung in den letzten Jahren Immer mehr zugunsten des Geschädigten erleichtert.

1. Produktfehler schon bei Zugehörigkeit zu fehlerhafter Produktserie

Eine ganze Vielzahl entsprechender Produkte betreffend, hat der BGH die mit Spannung erwartete Entscheidung des EuGH zum Fehlerbegriff nun in seine nationale Rechtsprechung übertragen, wonach schon das Risiko einer Fehlfunktion wegen Zugehörigkeit zu einer fehlerhaften Produktserie Schadensersatzansprüche auslöst.

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin regressiert als gesetzliche Krankenversicherung Kosten für den Austausch zweier Herzschrittmacher gegen seitens des Herstellers kostenlos zur Verfügung gestellte Austauschgeräte. Hintergrund dessen waren „dringende Sicherheitsinformationen“ des Herstellers, wonach die hermetische Versiegelung der Geräte möglicherweise einem sukzessiven Verfall mit vorzeitigem Funktionsverlust unterläge. Mit bis zu 0,88 % lag das Fehlerrisiko bis zu 20-fach höher als das reguläre Fehlerrisiko.

Die ausgetauschten Geräte waren im Zuge der Operationen entsorgt worden, weshalb sie als Beweismaterial für den Prozess nicht mehr zur Verfügung standen. Soweit § 3 ProdHG einen Fehler dahingehend definiert, dass ein Produkt „nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände […] berechtigterweise erwartet werden kann“, kam eine Haftung mithin lediglich für den Fall in Betracht, dass bereits die Zugehörigkeit zu einer erhöht fehleranfälligen Serie aus einem fehlerfreien ein fehlerhaftes Produkt macht. Das haben EuGH und in der Folge auch BGH nun bejaht.

Der EuGH hat wie folgt entschieden:

Der EuGH verweist zur Auslegung der maßgeblichen Ril. 85/374 zunächst auf deren 6. Erwägungsgrund, wonach die Frage der berechtigten Sicherheitserwartung anhand der berechtigten Erwartungen der Allgemeinheit vorzunehmen sei (nicht der Ärzteschaft oder spezialisierter  Techniker). Bei den hier relevanten Herzschrittmachern bzw. Defibrillatoren seien die Anforderungen an ihre Sicherheit, die die Patienten zu erwarten berechtigt sind, in Anbetracht ihrer Funktion und der Situation besonderer Verletzlichkeit der diese Geräte nutzenden Patienten zudem aber auch besonders hoch. Außerdem bestehe der potenzielle Mangel an Sicherheit hier in der anormalen Potenzialität eines Personenschadens, der durch sie verursacht werden kann. Daher könnten im Fall der Feststellung eines potenziellen Fehlers solcher Produkte derselben Produktgruppe oder Produktionsserie alle Produkte dieser Gruppe oder Serie als fehlerhaft eingestuft werden, ohne dass ein Fehler des betreffenden Produkts nachgewiesen zu werden braucht.

Operationen, die zum Austausch solcher Geräte durchgeführt würden, erfüllten zudem auch den Tatbestand der Körperverletzung, da dieser Begriff im Hinblick auf die von der Richtlinie verfolgten Ziele des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit der Verbraucher weit auszulegen sei. Entsprechend umfasse Schadensersatz alles, was erforderlich sei, um die Schadensfolgen zu beseitigen und das Sicherheitsniveau wiederherzustellen, das man zu erwarten berechtigt ist, einschließlich der Kosten im Zusammenhang mit dem Austausch des fehlerhaften Produkts einschließen.

EuGH 05.03.2015 – C-503/13

Der BGH hat wie folgt entschieden:

Der BGH ging in der Konsequenz von einem fehlerhaften Produkt aus, verwies die Sache jedoch gleichwohl zurück, weil bislang keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden seien, ob die Empfehlung des Herstellers, „die Programmierung der ‚Magnetfunktion aktivieren‘ auf ‚AUS (OFF)‘ vorzunehmen“, dazu führe, dass die Magnetfunktion keinen therapeutischen Nutzen mehr habe, und ob eine solche Deaktivierung bereits geeignet sei, den Fehler zu beseitigen, oder ob dafür ein Austausch des Produkts erforderlich sei.

BGH 09.06.2015 – VI ZR 327/12

Fundstelle: ARBER-Info November/Dezember 2015