„Eine Abfindung bekomme ich immer, wenn ich gekündigt werde!“
Stimmt das? Oder muss ich um die Abfindung kämpfen?
Kündigungsschutzklage und Abfindung
Die häufigste Form einer Abfindung nach einer Kündigung des Arbeitgebers ist der arbeitsgerichtliche Vergleich. Die Höhe der Abfindung wird individuell ausgehandelt und orientiert sich in der Regel an einem halben Monatsbruttogehalt pro Beschäftigungsjahr. Bei zehn Beschäftigungsjahren wären dies fünf Monatsbruttogehälter. Beim Umfang der Abfindung ist insbesondere das wirtschaftliche Risiko des Arbeitgebers von entscheidender Bedeutung. Je höher dieses Risiko des Arbeitgebers ist, umso höher fällt zumeist die Abfindung aus. Daher ist sowohl für Arbeitnehmer, wie auch für den Arbeitgeber von Vorteil, wenn sie sich durch einen spezialisierten Fachanwalt für Arbeitsrecht vertreten lassen.
Eine Kündigungsschutzklage muss spätestens drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingegangen sein. Wird die dreiwöchige Klagefrist versäumt, kann das Arbeitsgericht die Kündigung nicht mehr prüfen. Auch der Arbeitgeber hat keine Veranlassung bei versäumter Klagefrist die Abfindung zu zahlen, bzw. zu erhöhen.
Immer Anspruch auf Abfindung?
Es besteht der weit verbreitete Irrglauben, dass man infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber immer eine Abfindung bekommt. Dies ist jedoch nicht so. Es gibt keinen generellen gesetzlichen Anspruch auf eine Abfindung.
Arbeitsvertraglicher Anspruch auf Abfindung
Die wenigsten Arbeitnehmer haben in Ihrem Arbeitsvertrag eine Abfindungsvereinbarung. Solche Abfindungsvereinbarungen sind zumeist nur in Arbeitsverträgen von Geschäftsführern, Prokuristen oder in Anstellungsverträgen von Vorständen enthalten. Ohne eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag besteht kein arbeitsvertragliche Anspruch auf eine Abfindung.
Abfindung aus Sozialplan
Existiert im Betrieb ein Betriebsrat, kann ein Sozialplan vorliegen. Betriebsräte können mit dem Arbeitgeber in Sozialplänen vereinbaren unter welchen Bedingungen Arbeitnehmer des Betriebes einen Anspruch auf Abfindung haben und wie hoch diese Sozialplanabfindung ist. Zusätzlich zu dieser Sozialplanabfindung kann es im Rahmen einer Kündigungsschutzklage beim arbeitsgerichtlichen Vergleich eine weitere Abfindung geben, welche neben der Sozialplanabfindung zu zahlen ist.
Abfindung aus Gesetz nach § 1a Kündigungsschutzgesetz
Sofern der Arbeitgeber in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass die Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen erfolgt und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist für eine Kündigungsschutzklage eine Abfindung beanspruchen kann, sind die Voraussetzungen des § 1 KSchG erfüllt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer, der keine Kündigungsschutzklage erhebt, vom Arbeitgeber die Abfindung beanspruchen. Die Höhe dieser Abfindung beträgt ein halbes Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Hierbei wird ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufgerundet.
Abfindung nach Auflösungsantrag des Arbeitnehmers
Ein Ausnahmefall ist in § 9 KSchG geregelt. Wenn das Gericht feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wird, jedoch dem Arbeitnehmer ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar, kann der Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag stellen. Sind die hohen Anforderungen an die Unzumutbarkeit erfüllt, stellt das Arbeitsgericht die Auflösung des Arbeitsverhältnisses fest und der Arbeitgeber wird zu einer angemessenen Abfindung verurteilt.
Abfindung nach Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Die gleiche Entscheidung kann das Arbeitsgericht auf den Auflösungsantrag des Arbeitgebers treffen. Dies erfordert, dass Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.
Höhe der Abfindung bei Auflösungsanträgen
Die Höhe der Abfindung ist in diesem Fall auf zwölf Monatsverdienste begrenzt. Sofern die zusätzlichen Voraussetzungen nach § 10 Absatz 2 KSchG vorliegen, kann die Abfindung infolge eines Auflösungsantrages bis zu achtzehn Monatsverdienste betragen.
Abfindung und Auflösungsvertrag
In Rahmen von Auflösungsverträgen ist ebenfalls eine Vereinbarung über die Höhe der Abfindung üblich. Insbesondere Arbeitnehmer sollten vor Unterzeichnung eines Auflösungsantrages diesen durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht prüfen lassen. Die Agentur für Arbeit prüft bei Aufhebungsverträgen immer, ob eine Sperre infolge des Auflösungsvertrages möglich ist. Daher muss der Auflösungsvertrag auch in dieser Hinsicht sicher gestaltet werden. Eine Sperre beim Arbeitsamt bedeutet, dass der Anspruch auf das Arbeitslosengeld um drei Monate zu Beginn der Arbeitslosigkeit gekürzt wird, d.h. kein Arbeitslosengeld gezahlt wird. Folge einer solchen Sperre ist zudem, dass der Anspruch des Arbeitslosengeldes insgesamt um ein Viertel gekürzt wird, dass am Ende des Arbeitslosengeldbezuges nochmals eine Kürzung des Arbeitslosengeldes von bis zu drei Monaten möglich ist.
Freiwilliges Angebot des Arbeitsgebers auf Abfindung
Vereinzelt wird bei der Kündigung freiwillig vom Arbeitgeber eine Abfindung gezahlt. Dies ist nach unserer Erfahrung jedoch der Ausnahmefall.
Zusätzliche Prüfungen im Kündigungsschutzverfahren
In Kündigungsschutzverfahren beim Arbeitsgericht wird durch den Rechtsanwalt u.a. zugleich geprüft, ob die Kündigung rechtens ist, zusätzlich offene Vergütung geltend zu machen ist, noch Urlaubsansprüche bestehen oder das Zeugnis zu erteilen oder zu berichtigen ist.
Abfindung und Beiträge zur Sozialversicherung
Abfindungen im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterliegen grundsätzlich nicht den Beiträgen zur Sozialversicherung. Sie sind somit beitragsfrei. Daher kann es im Einzelfall sinnvoll sein, mit einer „Turbo-Klausel“ in der Abfindungsvereinbarung das Beschäftigungsverhältnis früher beenden zu lassen und die ersparte Arbeitnehmerbruttovergütung als zusätzliche Abfindung zu vereinbaren.
Abfindung und Steuer
Es gibt bei Abfindungen und der Einhaltung bestimmter steuerlicher Vorgaben eine günstigere Besteuerung der Abfindung gegenüber der Besteuerung von Arbeitseinkommen. Diese Fragen sollten individuell mit dem Steuerberater geklärt werden.
Abfindung und Erhöhung der Rente mit Ausgleichszahlung durch den Arbeitgeber
/von RA KlierAbfindung vom Arbeitgeber
Im Rahmen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer häufig auf die Zahlung einer Abfindung. Die Abfindung kann sich aus einem Sozialplan, einem Aufhebungsvertrag, einem Abwicklungsvertrag oder direkt aus dem Kündigungsschreiben ergeben. Viele Kündigungsschutzklagen enden mit einem gerichtlichen Vergleich, in welchem sich auf eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes geeinigt wird.
Rentenabschlag vermeiden durch Ausgleichszahlung
Wer vor seiner regulären Altersrente in Rente geht, muss grundsätzlich für jeden Monat des vorzeitigen Bezugs der Rente einen lebenslangen Rentenabschlag von 0,3 Prozent in Kauf nehmen. Bei dem maximalen vorzeitigen Rentenbezug von 5 Jahren würde der Abschlag 18 Prozent betragen. Diese Rentenminderung kann mit eine Ausgleichszahlung verringert, bzw. beseitigt werden. Bis zum Erreichen der Regelaltersrente können nach § 187 a SGB VI Beiträge in die Deutsche Rentenversicherung geleistet werden, um diese Rentenabschläge vollständig oder teilweise auszugleichen.
Individuelle Auskunft der Rentenversicherung
Die Rentenversicherung erteilt auf Antrag Auskunft an den Versicherten, bis zu welcher Höhe Beiträge als Ausgleichszahlung möglich sind. Diese Auskunft muss unbedingt vor Leistung der Ausgleichsbeiträge eingeholt werden. Nach § 187 a Absatz 1 a SGB VI ist die Grundlage für die Ausgleichszahlung die Auskunft nach § 109 Absatz 5 Satz 4 SGB VI.
Keine Pflicht vorgezogener Rente, Beiträge nicht verlorengegangen
Die Erbringung der Ausgleichszahlung verpflichtet den Versicherten nicht, tatsächlich frühzeitig in Rente zu gehen. Geht der Versicherten nicht im vollen Umfang der Ausgleichszahlung vorzeitig in Rente oder erst mit Eintritt seiner Regelaltersrente, dann erhöht die geleistete Ausgleichszahlung die Rentenanwartschaften. Eine Rückerstattung der Ausgleichzahlung kommt jedoch nicht in Betracht.
Abfindungszahlung vom Arbeitgeber direkt an die Rentenversicherung
In der Regel wird die Abfindung direkt an den Arbeitnehmer gezahlt. Jedoch ist es meist vorteilhaft, dass der Arbeitgeber die Abfindung als Ausgleichzahlung voll oder teilweise direkt an Rentenversicherung überweist. Die Abfindung ist zwar sozialversicherungsfrei, jedoch steuerpflichtig. Die direkte Zahlung der Abfindung des Arbeitgebers im Rahmen der Auskunft der Rentenversicherung kann steuerrechtlich Vorteile haben, teilweise sogar im Rahmen der Zahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen als Rentner zusätzliche Vorteile haben.
Prüfung durch Steuerberater des Arbeitnehmers
Nach Einholung der Auskunft von der Rentenversicherung zur Höhe der Ausgleichszahlung, aber vor der Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezüglich der Abfindungszahlung als Ausgleichszahlung in die Rentenversicherung sollte der Arbeitnehmer sich von seinem Steuerberater anhand seiner individuellen Situation beraten lassen. Aktuell ist es beispielsweise günstiger, die Ausgleichszahlung in die Rentenversicherung vorzunehmen anstelle einer Einzahlung in eine private Rentenversicherung. Der aktuelle Garantiezins privater Rentenversicherungen liegt unterhalb des von der Rentenversicherung errechneten Renditesatzes.
Bei der normalen Abfindung greift zudem die steuerrechtliche Regelung, wonach die Abfindungszahlung rechnerisch auf fünf Steuerjahre verteilt wird und so in der Regel zu einer günstigeren Besteuerung führt im Vergleich zur Besteuerung von Arbeitseinkommen. Bei der Ausgleichszahlung in die Rentenversicherung direkt durch den Arbeitgeber dürfte zum Zeitpunkt der Zahlung keine Steuer anfallen. Wie sich dann die erhöhte Rente auf die Steuer als Rentner auswirkt, kann der Steuerberater in einer individuellen Beratung ebenfalls erläutern. Eine steueroptimierte Gestaltung ist letztendlich nur im Rahmen einer individuellen steuerrechtlichen Beratung möglich.
Privat Krankenversicherte
Privat Krankenversicherte erhalten von ihrer gesetzlichen Rentenversicherung einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung (anstelle die Zahlung der Beiträge in die gesetzliche Krankenversicherung der gesetzlich Versicherten). Je höher die Rente ist, desto höher ist auch dieser Zuschuss für die private Krankenversicherung, dass sich der eigene Beitragsanteil für die private Krankenversicherung verringert. In diesem Fall führen die Ausgleichzahlungen in die Rentenversicherung zu einen finanziellen Vorteil für den Versicherten.
Zusammenfassung
Wenn für den Arbeitnehmer aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindungszahlung in Betracht kommt, sollte der Arbeitnehmer unverzüglich eine schriftliche Auskunft nach § 109 SGB VI bei der Rentenversicherung zu seinen möglichen Ausgleichzahlungen für eine vorgezogene Rente einholen. Anschließend sollte der Arbeitnehmer sich auf dieser Grundlage und seinen individuellen finanziellen Verhältnissen und Plänen steuerrechtlich beraten lassen. Auf der Grundlage der Rentenauskunft zur Ausgleichszahlung und der steuerrechtlichen Beratung sollte der Arbeitnehmer zusammen mit seinem Fachanwalt für Arbeitsrecht die Bedingungen für die Abfindung aushandeln, einschließlich ob die Abfindung ganz oder teilweise, in einer Zahlung oder auf mehrere Jahre verteilt als Ausgleichszahlung an die Rentenversicherung direkt vom Arbeitgeber gezahlt werden soll.
Rente wegen Erwerbsminderung und Anrechnung von Krankengeld
/von RA KlierMit der Anrechnung von Krankengeld auf die Rente wegen Erwerbsminderung hat sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Urteil vom 23.09.2021 zum Aktenzeichen L 2/12 R 159/20 auseinandergesetzt. Auf die in dieser Entscheidung dargelegten Unterschiede kommt es an, ob das Krankengeld anzurechnen ist oder nicht.
Entscheidung des Gerichts
Gemäß § 50 Absatz 2 SGB V (Sozialgesetzbuch V – Gesetzliche Krankenversicherung) wird das Krankengeld um den Zahlbetrag der Rente wegen Erwerbsminderung nur dann gekürzt, wenn die anrechenbare Leistung (hier Rente wegen Erwerbsminderung) von einem Zeitpunkt an bewilligt wird, der innerhalb des Zeitraums liegt, in dem Krankengeld bezogen wird.
Wird hingegen das Krankengeld aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit geleistet, die erst nach dem Beginn der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eingetreten ist, ist das Krankengeld nach Maßgabe des ihm zugrundeliegenden Arbeitsentgelts als Hinzuverdienst gem. § 96a Absatz 3 Nr. 1 SGB VI (Sozialgesetzbuch VI – Gesetzliche Rentenversicherung) auf die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung anzurechnen.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger beantragte im Oktober 2016 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Er befand sich ab dem 01.11.2016 in stationärer Behandlung und erhielt nach sechswöchiger Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers das Krankengeld der Krankenkasse ab dem 12.12.2016 bis April 2018.
Ab Dezember 2016 erhielt der Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab Dezember 2016. Die Beklagte überwies der Krankenkasse aus der Rentennachzahlung einen Teilbetrag von 6.376 EUR im Hinblick auf das von der Krankenkasse gewährte Krankengeld.
Mit der Klage begehrte der Kläger die Festsetzung des Rentenbeginns ab Oktober 2016 (Monat der Antragstellung) und die Auszahlung der Nachzahlung an ihn. Er war der Ansicht, dass der Krankenkasse kein Erstattungsanspruch zustehen würde.
Die Klage wurde vom Sozialgericht als unbegründet abgewiesen, da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers erst im Laufe des 01.11.2016 – im Rahmen der damaligen stationären Aufnahme – festgestellt worden sei. Nach Ansicht des Sozialgerichts lägen keine medizinischen Unterlagen dafür vor, dass die Anspruchsvoraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfüllt gewesen seien.
Die Begründung der Entscheidung des Landessozialgerichts
Der Kläger legte die Berufung beim Landessozialgericht ein. Die Berufung war für den Kläger erfolgreich. Das Landessozialgericht verpflichtete die Beklagte, dem Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgehend von einem Versicherungsfall am 19.10.2016 bereits ab 01.11.2016 zu gewähren. Darüber hinaus wurde die Beklagte verurteilt, die zuerkannte Nachzahlung auch hinsichtlich des zunächst der Krankenkasse zugesprochenen Teilbetrages von 6.376 EUR auszukehren.
Im Ergebnis der Begutachtung des Klägers im Auftrage des Gerichts war der Kläger schon ab Antragstellung außer Stande, den Beruf als Ingenieur auszuüben. Somit beginnt die Rente gemäß § 99 SGB VI bereits am 01.11.2016 und nicht erst am 01.12.2016. Hieran ändert auch nichts, dass der Kläger vor dem 01.11.2016 keine ärztlichen Leistungen in Anspruch genommen hat und ihm auch keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde. Nach dem Gutachten lassen die im November 2016 festgestellten Erkrankungen auf einen Versicherungsfall spätestens im Oktober 2016 schließen. Das Gutachten überzeugte das Landessozialgericht, dass dieses der Entscheidung des Gerichts zugrunde gelegt wurde.
Anspruch des Klägers auf die Nachzahlung
Das Landessozialgericht bestätigte in seinem Urteilt, dass dem Kläger die ihm zuerkannte Nachzahlung für den Zeitraum ab 01.12.2016 zusteht und nicht der Krankenkasse.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 102 ff. SGB X (Sozialgesetzbuch X – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz) liegen nicht vor. Es bestand daher keine Erstattungspflicht der Beklagten an die Krankenkasse.
Nach § 50 Absatz 2 Nr. 2 SGB V wird das Krankengeld um den Zahlbetrag der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gekürzt, wenn die Leistung von einem Zeitpunkt nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit zuerkannt wird. Im vorliegenden Fall wurde jedoch die Arbeitsunfähigkeit erst ab dem 01.11.2016 (wegen stationärer Behandlung) festgestellt. Der Leistungsfall für die Rente wegen Erwerbsminderung trat bereits vorher ein, d.h. spätestens mit der Antragstellung am 19.10.2016.
Das Landessozialgericht stellte klar, dass eine Kürzung des Krankengeldes nur in Betracht, wenn die konkurrierende Leistung – hier Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung – „von einem Zeitpunkt nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit“ zuerkannt wird.
§ 96a Absatz 3 SGB VI regelt jedoch, dass bei einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung das Krankengeld als Zuverdienst angerechnet wird unter Beachtung der Hinzuverdienstgrenzen. Dies ist im vorliegenden Fall nicht so, da das Krankengeld zwar erst aufgrund der ab 01.11.2016 dokumentierten Arbeitsunfähigkeit gewährt wurde, aber auch schon ab dem Leistungsfall bezüglich der Rente von entsprechender Arbeitsunfähigkeit auszugehen ist.
Erwerbsminderungsrente – ein Überblick
/von RA KlierEine Erwerbsminderungsrente wird vor der regulären Altersrente gewährt, wenn aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen keine Erwerbtätigkeit mehr möglich ist. Die fortlaufende Erhöhung des Renteneintrittsalters für die reguläre Altersrente hat dazu geführt, dass mehr Menschen diese Erwerbsminderungsrente in Anspruch nehmen müssen. Nachfolgend einige wesentliche Punkte, welche Sie bei dieser Rente wegen Erwerbsminderung beachten müssen.
Erwerbsminderungsrente als Vollrente
Eine volle Rente wegen Erwerbsminderung setzt voraus, dass der in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsminderungsrente als Teilrente
Eine teilweise Rente wegen Erwerbsminderung setzt voraus, dass der in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsminderungsrente als Zeitrente
Eine Erwerbsminderungsrente wird grundsätzlich als Zeitrente gewährt. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre. Die befristete Rente kann verlängert werden. Die Verlängerung erfolgt ebenfalls für längstens drei Jahre. Dabei beginnt die Verlängerung nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Grundsätzlich wird für die Gesamtdauer der Befristungen von einem Zeitraum von neun Jahren ausgegangen.
Erwerbsminderungsrente als Dauerrente
Ist davon auszugehen, dass die Erwerbsfähigkeit nicht wieder hergestellt werden kann, wird die Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer geleistet. Das Gleiche gilt, wenn die befristet Rente für neun Jahre gewährt wurde. Auf Dauer bedeutet jedoch nicht zeitlich unbeschränkt. Die Rente wird bis zu dem Zeitpunkt gewährt, ab dem eine ungekürzte Altersrente gezahlt werden kann.
Erwerbsminderungsrente wegen Wegeunfähigkeit
Eine Rente wegen Erwerbsminderung kann bei Vorliegen der Wegunfähigkeit gewährt werden. Wegeunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, täglich einen Arbeitsplatz aufzusuchen.
Es muss somit gesundheitlich nicht möglich sein entweder mit dem Pkw oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer Arbeitsstelle zu gelangen. Wer zweimal täglich mit dem Pkw einen üblichen Arbeitsweg zurücklegen kann, ist wegefähig.
Ist die Fahrt gesundheitlich mit dem Pkw nicht mehr möglich wird weiter geprüft. Wer weder gesundheitlich mit dem Pkw noch gesundheitlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer Arbeitsstelle gelangen kann, ist wegeunfähig.
Kann man zwar nicht mehr mit dem Pkw, jedoch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer Arbeitsstelle gelangen wird weiter geprüft. Man muss von seiner Wohnung die Haltestelle erreichen können und von der Haltestelle einen Arbeitsplatz erreichen können, wie auch den umgekehrten Weg zurück zur Wohnung. Daher hat das Bundessozialgericht als pauschale Festlegung getroffen, dass man viermal täglich gesundheitlich in der Lage sein muss, 500 m zu Fuß innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen. Dabei kommt es nicht darauf an, wie lang der tatsächliche Fußweg zur Haltestelle ist. Ein entsprechender Umzug soll zumutbar sein.
Versicherungsrechtliche Voraussetzungen
Eine Rente wegen Erwerbsminderung erhält der Versicherte nur, wenn er hiergegen versichert ist. Um für die Erwerbminderungsrente versichert zu sein, muss der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Zusätzlich muss die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt sein.
Rentenverfahren
Wer eine Rente in Anspruch nehmen möchte, muss diese Rente bei der gesetzlichen Rentenversicherung beantragen.
Über diesen Antrag entscheidet die Rentenversicherung mit einem positiven Rentenbescheid oder einen Ablehnungsbescheid. Grundsätzlich muss die Rentenversicherung innerhalb von sechs Monaten über den Antrag entscheiden. Ansonsten kann der Versicherte beim Sozialgericht eine Klage wegen Untätigkeit einreichen.
Gegen den ablehnenden Bescheid kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden.
Über den Widerspruch muss die Rentenversicherung grundsätzlich innerhalb von drei Monaten entscheiden. Ansonsten kann der Versicherte beim Sozialgericht eine Klage wegen Untätigkeit einreichen.
Auf den Widerspruch erlässt die Rentenversicherung entweder einen Abhilfebescheid mit Rentengewährung oder einen ablehnenden Widerspruchsbescheid.
Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid kann beim Sozialgericht des Wohnsitzes des Versicherten eine Klage eingereicht werden. Das Gericht entscheidet unabhängig mit Urteil, ob die Voraussetzungen für die Rentengewährung vorliegen.
Gegen das Urteil kann die unterlegene Partei Berufung beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats ab Urteilszustellung einlegen. Das Landessozialgericht entscheidet unabhängig mit Berufungsurteil.
In Ausnahmefällen kann gegen das Urteil des Landessozialgerichts Revision beim Bundessozialgericht eingelegt werden.
Rechtlicher Beistand
Aus unserer jahrzehntelangen Erfahrung als Fachanwalt für Sozialrecht ist es ratsam, sich bereits fachanwaltliche Hilfe ab der Einlegung des Widerspruchs, jedoch spätestens ab Einreichung der Klage zu nehmen.
Abfindung nach Kündigung
/von RA Klier„Eine Abfindung bekomme ich immer, wenn ich gekündigt werde!“
Stimmt das? Oder muss ich um die Abfindung kämpfen?
Kündigungsschutzklage und Abfindung
Die häufigste Form einer Abfindung nach einer Kündigung des Arbeitgebers ist der arbeitsgerichtliche Vergleich. Die Höhe der Abfindung wird individuell ausgehandelt und orientiert sich in der Regel an einem halben Monatsbruttogehalt pro Beschäftigungsjahr. Bei zehn Beschäftigungsjahren wären dies fünf Monatsbruttogehälter. Beim Umfang der Abfindung ist insbesondere das wirtschaftliche Risiko des Arbeitgebers von entscheidender Bedeutung. Je höher dieses Risiko des Arbeitgebers ist, umso höher fällt zumeist die Abfindung aus. Daher ist sowohl für Arbeitnehmer, wie auch für den Arbeitgeber von Vorteil, wenn sie sich durch einen spezialisierten Fachanwalt für Arbeitsrecht vertreten lassen.
Eine Kündigungsschutzklage muss spätestens drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingegangen sein. Wird die dreiwöchige Klagefrist versäumt, kann das Arbeitsgericht die Kündigung nicht mehr prüfen. Auch der Arbeitgeber hat keine Veranlassung bei versäumter Klagefrist die Abfindung zu zahlen, bzw. zu erhöhen.
Immer Anspruch auf Abfindung?
Es besteht der weit verbreitete Irrglauben, dass man infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber immer eine Abfindung bekommt. Dies ist jedoch nicht so. Es gibt keinen generellen gesetzlichen Anspruch auf eine Abfindung.
Arbeitsvertraglicher Anspruch auf Abfindung
Die wenigsten Arbeitnehmer haben in Ihrem Arbeitsvertrag eine Abfindungsvereinbarung. Solche Abfindungsvereinbarungen sind zumeist nur in Arbeitsverträgen von Geschäftsführern, Prokuristen oder in Anstellungsverträgen von Vorständen enthalten. Ohne eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag besteht kein arbeitsvertragliche Anspruch auf eine Abfindung.
Abfindung aus Sozialplan
Existiert im Betrieb ein Betriebsrat, kann ein Sozialplan vorliegen. Betriebsräte können mit dem Arbeitgeber in Sozialplänen vereinbaren unter welchen Bedingungen Arbeitnehmer des Betriebes einen Anspruch auf Abfindung haben und wie hoch diese Sozialplanabfindung ist. Zusätzlich zu dieser Sozialplanabfindung kann es im Rahmen einer Kündigungsschutzklage beim arbeitsgerichtlichen Vergleich eine weitere Abfindung geben, welche neben der Sozialplanabfindung zu zahlen ist.
Abfindung aus Gesetz nach § 1a Kündigungsschutzgesetz
Sofern der Arbeitgeber in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass die Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen erfolgt und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist für eine Kündigungsschutzklage eine Abfindung beanspruchen kann, sind die Voraussetzungen des § 1 KSchG erfüllt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer, der keine Kündigungsschutzklage erhebt, vom Arbeitgeber die Abfindung beanspruchen. Die Höhe dieser Abfindung beträgt ein halbes Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Hierbei wird ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufgerundet.
Abfindung nach Auflösungsantrag des Arbeitnehmers
Ein Ausnahmefall ist in § 9 KSchG geregelt. Wenn das Gericht feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wird, jedoch dem Arbeitnehmer ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar, kann der Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag stellen. Sind die hohen Anforderungen an die Unzumutbarkeit erfüllt, stellt das Arbeitsgericht die Auflösung des Arbeitsverhältnisses fest und der Arbeitgeber wird zu einer angemessenen Abfindung verurteilt.
Abfindung nach Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Die gleiche Entscheidung kann das Arbeitsgericht auf den Auflösungsantrag des Arbeitgebers treffen. Dies erfordert, dass Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.
Höhe der Abfindung bei Auflösungsanträgen
Die Höhe der Abfindung ist in diesem Fall auf zwölf Monatsverdienste begrenzt. Sofern die zusätzlichen Voraussetzungen nach § 10 Absatz 2 KSchG vorliegen, kann die Abfindung infolge eines Auflösungsantrages bis zu achtzehn Monatsverdienste betragen.
Abfindung und Auflösungsvertrag
In Rahmen von Auflösungsverträgen ist ebenfalls eine Vereinbarung über die Höhe der Abfindung üblich. Insbesondere Arbeitnehmer sollten vor Unterzeichnung eines Auflösungsantrages diesen durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht prüfen lassen. Die Agentur für Arbeit prüft bei Aufhebungsverträgen immer, ob eine Sperre infolge des Auflösungsvertrages möglich ist. Daher muss der Auflösungsvertrag auch in dieser Hinsicht sicher gestaltet werden. Eine Sperre beim Arbeitsamt bedeutet, dass der Anspruch auf das Arbeitslosengeld um drei Monate zu Beginn der Arbeitslosigkeit gekürzt wird, d.h. kein Arbeitslosengeld gezahlt wird. Folge einer solchen Sperre ist zudem, dass der Anspruch des Arbeitslosengeldes insgesamt um ein Viertel gekürzt wird, dass am Ende des Arbeitslosengeldbezuges nochmals eine Kürzung des Arbeitslosengeldes von bis zu drei Monaten möglich ist.
Freiwilliges Angebot des Arbeitsgebers auf Abfindung
Vereinzelt wird bei der Kündigung freiwillig vom Arbeitgeber eine Abfindung gezahlt. Dies ist nach unserer Erfahrung jedoch der Ausnahmefall.
Zusätzliche Prüfungen im Kündigungsschutzverfahren
In Kündigungsschutzverfahren beim Arbeitsgericht wird durch den Rechtsanwalt u.a. zugleich geprüft, ob die Kündigung rechtens ist, zusätzlich offene Vergütung geltend zu machen ist, noch Urlaubsansprüche bestehen oder das Zeugnis zu erteilen oder zu berichtigen ist.
Abfindung und Beiträge zur Sozialversicherung
Abfindungen im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterliegen grundsätzlich nicht den Beiträgen zur Sozialversicherung. Sie sind somit beitragsfrei. Daher kann es im Einzelfall sinnvoll sein, mit einer „Turbo-Klausel“ in der Abfindungsvereinbarung das Beschäftigungsverhältnis früher beenden zu lassen und die ersparte Arbeitnehmerbruttovergütung als zusätzliche Abfindung zu vereinbaren.
Abfindung und Steuer
Es gibt bei Abfindungen und der Einhaltung bestimmter steuerlicher Vorgaben eine günstigere Besteuerung der Abfindung gegenüber der Besteuerung von Arbeitseinkommen. Diese Fragen sollten individuell mit dem Steuerberater geklärt werden.
Störung Betriebsklima – unwirksame Kündigung, GdB 60
/von RA KlierWenn das Betriebsklima gestört wird, gibt es mildere Mittel gegenüber eine Kündigung, dass auch bei Störung Betriebsklima die Kündigung nur das letzte Mittel sein kann.
Sachverhalt
Der Arbeitgeber hatte eine Mitarbeiterin mit einem GdB von 60 aufgrund gekündigt, da diese Mitarbeiterin das Betriebsklima gestört haben soll. Der Mitarbeiterin wurde Äußerungen unterstellt wie: „Hast du Alzheimer, oder was? Bist du blöd?“; „Lügnerin“ und „Sie sind keine Polizei, den Werksausweis gebe ich Ihnen nicht. Sie sind ein Rassist.“
Der Arbeitgeber kündigte der Klägerin wegen Störung des Betriebsfriedens. Zuvor hatte der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung des Betriebes angehört, den Betriebsrat angehört und die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt.
Arbeitsgericht
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und mit Urteil festgestellt, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Hier legte die Arbeitgeberin die Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln zum dortigen Aktenzeichen 6 Sa 790/20 ein.
Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 22.04.2021
Das Landesarbeitsgericht bestätigt das Urteil des Arbeitsgerichts und wies im Ergebnis die Berufung zurück. Selbst wenn der Vorwurf Störung Betriebsklima und die unterstellten Äußerungen und Verhaltensweisen zutreffend würden, war die Kündigung nicht gerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht stellte klar, dass eine Kündigung „nur dann verhältnismäßig sein kann, wenn milderte zur Zielerreichung geeignete Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen.“
Mildere Mittel gegenüber einer Kündigung
Wie zuvor das Arbeitsgericht hat das Landesarbeitsgericht ebenfalls als ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung eine weitere Abmahnung gesehen. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht als weitere mildere Mittel gesehen: „moderierte Teamgespräche, Mediation, Coaching, enge Führung usw.“ Nichts davon sei zuvor von der Arbeitgeberin ernsthaft versucht worden.
Inklusionsverfahren
Das Landesarbeitsgericht wies zudem auf das Präventionsverfahren gemäß § 167 SGB IX hin. Zwar hatte die Arbeitgeberin vorgetragen, bereits Präventionsverfahren durchgeführt zu haben mit dem Ziel: „um die Klägerin zu einer Verhaltensänderung für die Zukunft zu bewegen.“ Das Landesarbeitsgericht stellte klar, dass allein diese Äußerung des Arbeitsgebers ersichtlich macht, der Arbeitgeber hat eine vom Gesetz abweichende Vorstellung vom Ziel dieses Präventionsverfahrens.
Das Landesarbeitsgericht stellt klar: „Der Zweck der Regelung ergibt sich ausdrücklich aus dem Wortlaut: Die Vorschrift soll Schwerbehinderte in dem Bestand ihres Arbeitsverhältnisses schützen. Sie soll Kündigungen und auch schon Gefährdungen von Arbeitsverhältnissen verhindern. Hierzu sollen möglichst frühzeitig die Schwierigkeiten erkannt werden, um ihnen dann entgegenzuwirken. Durch die rechtzeitige Einschaltung der Schwerbehindertenvertretung und ggf. der Rehabilitationsträger bzw. des Integrationsamts bei Eintreten von Schwierigkeiten soll der Bestand des Arbeitsverhältnisses durch möglichst frühzeitige Hilfestellung der genannten Einrichtungen nach Möglichkeit gesichert werden.“
Das Ziel des Arbeitgebers, die Klägerin zu einem geänderten Verhalten zu bewegen, wird dem gesetzlichen Präventionsverfahren nicht gerecht.
Wer hat Beweislast für Höhe des GdB im Absenkungsverfahren?
/von RA KlierBeweislast
Die Beweislast regelt verkürzt gesagt die Beweisrisiken und Beweisobliegenheiten. Die objektive Beweislast legt fest, wer das Risiko der Nichterweislichkeit einer Behauptung trägt. Häufig verliert derjenige das Gerichtsverfahren, der die Beweislast trägt für Tatsachen, welche im Ergebnis nicht bewiesen werden können.
Grundsatz bei GdB (Grad der Behinderung)
Der Antragsteller, d.h. derjenige, welcher einen bestimmten GdB haben möchte, muss nachweisen, dass bei ihm hierfür die Voraussetzungen vorliegen. Kann beispielsweise im Gerichtsverfahren der Nachweis mit Diagnosen und Gutachten nicht erbracht werden, spricht das Gericht diesen GdB nicht zu. Daher ist es grundsätzlich sinnvoll, sämtliche Gesundheitsbeeinträchtigung mitzuteilen und alle medizinischen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
Ausnahme im Absenkungsverfahren
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 09.04.2020 zum Aktenzeichen L 13 SB 91/18 entschieden, dass die Beweislast in diesen Absenkungsverfahren das Versorgungsamt trägt.
Absenkungsverfahren
Wurde bereits ein bestimmter GdB vom Versorgungsamt zugesprochen, kann das Amt dennoch erneut prüfen, ob dieser in der Vergangenheit zugesprochener GdB noch immer besteht. Bei beispielsweise einer gesundheitlichen Stabilisierung oder Heilung kann der bisherige GdB herabgesetzt werden.
Entscheidung des Gerichts
Das Versorgungsamt war der Ansicht, dass der sich gegen die Absenkung wendende Kläger nachweisen müsse, dass die Voraussetzungen des bisherigen GdB weiterhin vorliegen. Dem folgte das Landessozialgericht nicht. Lässt sich bei einer Absenkung des bisherigen GdB nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen des bisherigen GdB nicht mehr gegeben sind, kann das Versorgungsamt keine Absenkung vornehmen. Daher hat das Gericht den Absenkungsbescheid des Versorgungsamtes aufgehoben und der Kläger behielt seinen bisherigen GdB.
Fachanwalt für Sozialrecht
Grundsätzlich ist es bei Auseinandersetzungen zur Erhöhung des GdB, der Zuerkennung von Merkzeichen, jedoch auch im Absenkungsverfahren sinnvoll, sich an einen auf das Schwerbehindertenrecht spezialisierten Fachanwalt für Sozialrecht zu wenden, welcher zusätzlich medizinrechtliche Kenntnisse haben sollte. Das Schwerbehindertenrecht überschneidet sich häufig mit arbeitsrechtlichen Fragen, dass es vorteilhaft ist, wenn der Rechtsanwalt zugleich Fachanwalt für Arbeitsrecht ist.
Bei eigenmächtigen Urlaubsantritt ist eine außerordentliche fristlose Kündigung gerechtfertigt
/von RA KlierDas Gesetz: § 626 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch)
Hiernach kann das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer ihm unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Aktuelles Urteil bestätigt jahrzehntealte Rechtsprechung
Das LAG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 01.10.2020 zum Aktenzeichen 17 Sa 1/20 bestätigt, dass auch während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens und eines Prozessarbeitsverhältnisses der eigenmächtige Urlaubsantritt einen solchen wichtigen Kündigungsgrund darstellt.
Wörtlich führt das Gericht aus:
„Tritt der Arbeitnehmer eigenmächtig einen vom Arbeitgeber nicht genehmigten Urlaub an, so verletzt er damit seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Der Arbeitnehmer, der sich selbst beurlaubt, verletzt nicht eine bloße Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis, er verletzt vielmehr die Hauptpflicht zur Arbeitsleistung, von der er mangels einer Urlaubsbewilligung durch den Arbeitgeber nicht wirksam entbunden ist.
Die Urlaubsgewährung erfolgt nach § 7 BUrlG durch den Arbeitgeber. Lehnt dieser die Urlaubserteilung ohne ausreichende Gründe ab oder nimmt in zumutbarer Zeit zu dem Urlaubsantrag keine Stellung, so kann der Arbeitnehmer durch eine Leistungsklage oder ggf. einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung seine Ansprüche durchsetzen. Ein Recht des Arbeitnehmers, sich selbst zu beurlauben, ist angesichts des umfassenden Systems gerichtlichen Rechtsschutzes grundsätzlich abzulehnen.“
Bereits mit Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.04.1960 zum Aktenzeichen 1 AZR 134/58 wurde vor 60 Jahren klargestellt: „Das Selbstbeurlaubungsrecht besteht auch nicht nach Ausspruch einer ordentlichen Kündigung während der laufenden Kündigungsfrist.“
Abmahnung ist entbehrlich
Zugleich bestätigte das Landesarbeitsgericht im genannten Urteil, dass in einem Fall des eigenmächtigen Urlaubsantritts eine Abmahnung entbehrlich ist.
Abfindungsanspruch geht verloren
Hat der Arbeitnehmer bereits einen Abfindungsanspruch, zum Beispiel aus Sozialplan oder einem Abfindungsvergleich, geht mit einer vorherigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen außerordentlicher fristloser Kündigung grundsätzlich der Anspruch auf Abfindung verloren. Das Arbeitsverhältnis wurde dann wegen des Fehlverhaltens des Arbeitsnehmers fristlose aufgelöst und nicht aus dem Grund, weshalb der Abfindungsanspruch ursprünglich gegeben war.
Zusätzlich Gefahr der Kürzung des Arbeitslosengeldes um ein Viertel
Entsprechend ist Arbeitnehmern auch bei erfolgter Kündigung dringend davon abzuraten, sich selbst zu beurlauben. Neben der zusätzlichen fristlosen außerordentlichen Kündigung muss der Arbeitnehmer in einen solchen Fall mit einer Sperrzeit des Arbeitslosengeldes von drei Monaten rechnen. Bei der Kürzung des Arbeitslosengeldes mit dieser Sperrzeit wird das Arbeitslosengeld insgesamt um ein Viertel gekürzt. Wer bereits eine Anspruchsdauer von mehr als einem Jahr Arbeitslosengeld hat, verliert nicht nur zu Beginn, sondern auch nochmals zum Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld seinen Anspruch auf Zahlung des Arbeitslosengeldes. Bei einer Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von zwei 2 Jahren wird dieses somit insgesamt um ein halbes Jahr gekürzt.
Angst vor einen Impfschaden?
/von RA KlierMögliche negative Wirkungen bei Impfungen
Nicht erst seit Corona besteht Angst vor neuen und alten Impfstoffen und den möglichen Schäden infolge der Impfung. Je kürzer die Entwicklung, Erprobung und Erfahrung mit neuen Impfstoffen ist, umso ungewisser ist, ob kurz-, mittel- oder langfristig auch negative Wirkungen dieser Impfstoffe bestehen.
Empfehlung zur Impfung
Auf der anderen Seite kann man sich gegen verschiedene und zugleich schwere Erkrankungen häufig nur durch eine Impfung schützen. Insbesondere für Menschen mit hohen Risikomerkmalen (Vorerkrankungen, Alter, Kontakt mit Kranken, …) dürfte eine Impfung trotz der bestehenden Restrisiken der Impfstoffe empfehlenswert sein.
Rechtsstreite beim Impfschaden
Sollte dennoch eine Schädigung durch die Impfung eintreten, dann können u.a. nachfolgende Auseinandersetzungen notwendig werden:
Kosten
Diese möglichen Auseinandersetzungen vor den Zivilgerichten und Sozialgerichten, bei Impfschäden häufig über mehrere Instanzen, sind mit erheblichen Kosten für die Betroffenen verbunden. Dies in einer Situation, in welcher aufgrund der Schädigung das Einkommen weggebrochen ist.
Eintritt der Rechtsschutzversicherung
Rechtschutzversicherungen treten erst ein, wenn der Versicherungsvertrag wenigstens drei Monate vor der Schädigung (hier: Tag der Impfung) abgeschlossen wurde. Wer sich nicht nur gegen die Krankheit mit der Impfung schützen möchte, sondern auch für mögliche Auseinandersetzungen infolge von negativen Wirkungen der Impfung absichern möchte, dem ist der rechtzeitige Abschluss einer entsprechenden Rechtsschutzversicherung empfehlenswert.
Rechtsanwalt Gerd Klier, Neuruppin
Fachanwalt für Medizinrecht, Sozialrecht und Arbeitsrecht
Neufeststellung möglich im GdB-Herabsetzungsverfahren
/von RA KlierGdB jederzeit überprüfbar
Der Schwerbehinderte kann jederzeit einen Antrag auf Neufeststellung eines höheren GdB stellen. Jedoch kann auch das zuständige Versorgungsamt grundsätzlich jederzeit prüfen, ob der GdB herabgesetzt werden kann. Dies nennt man dann Herabsetzungsverfahren.
Zulässig und sinnvoll Antrag auf Neufeststellung zu stellen
Es bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Neufeststellungsantrages während eines GdB-Herabsetzungsverfahrens. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hielt es gemäß dem Urteil vom 20.08.2020 zum Aktenzeichen L 11 SB 226/18 sogar für sinnvoll, während des Herabsetzungsverfahrens einen Neufeststellungsantrag zu stellen. Es kommt natürlich immer auf die konkrete Situation des Einzelfalls an.
Vorteile des Antrages auf Neufeststellung während Herabsetzungsverfahrens
Antrag auf Neufeststellung in Höhe bisherigem GdB
Während des Verfahrens auf Herabsetzung des GdB kann der Antrag auf Feststellung eines GdB gestellt werden. Hierbei kann auch lediglich der bisher festgestellte GdB anstelle eine Erhöhung beantragt werden. Damit erstreckt sich der Zeitraum der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen ebenfalls bis zur letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts. In diesem Fall muss jedoch zwischen den Hauptantrag auf Anfechtung der Herabsetzung und dem Hilfsantrag auf Neufeststellung unterschieden werden.
Rente wegen Erwerbsminderung bei chronifizierter Panikstörung
/von RA KlierPsychische Erkrankung kann zur Rente wegen Erwerbsminderung führen
Eine Rente wegen Erwerbsminderung kann bei einer psychischen Erkrankung auch dann gewährt werden, wenn zumutbare Behandlungen nicht ausgeschöpft sind. Zumutbare Behandlungen können ambulante und stationäre Behandlungen, aber auch eine Rehabilitation sein.
Aufforderung des Rentenantragstellers zur Heilbehandlung und Reha
Die Rentenversicherung kann bei vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten den Rentenantragsteller jedoch auffordern, sich entsprechenden Heilbehandlungen zu unterziehen. Sollte der Rentenantragsteller diese Heilbehandlungen ablehnen, kann die Rente wegen unterbliebener Mitwirkung versagen werden. Dies zumindest solange der Rentenantragsteller dieser schriftlichen Aufforderung nicht folgt. Kommt der Rentenantragsteller der Aufforderung nach, kann bei weiterem Vorliegen der Erkrankung eine Rente auf Zeit in Betracht kommen. So urteilte das Landessozialgericht Baden-Württemberg am 01.07.2020 zum Aktenzeichen L 5 R 1265/18.
Reha-Maßnahme bestätigte verminderte Leistungsfähigkeit
Die Klägerin hatte neben anderen Erkrankungen eine chronifizierte Panikstörung bei ängstlicher Persönlichkeitsakzentuierung. Wegen der Gefährdung der Erwerbsfähigkeit erhielt die Klägerin eine Reha-Maßnahme. Im Ergebnis bestätigte die Reha-Maßnahme einen Erschöpfungszustand sowie eine generalisierte Angststörung. Dennoch wurde eine Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten von sechs Stunden täglich festgestellt. Daher lehnte die Rentenversicherung den Rentenantrag ab.
Befristete Rente als Arbeitsmarktrente
Das im Klageverfahren vom Sozialgericht eingeholte Gutachten führte dazu, dass der Klägerin das Gericht die Rente wegen voller Erwerbsminderung zusprach. Die Beweisaufnahme überzeugte das Gericht davon, dass die Klägerin nur noch in der Lage sei, leichte körperliche Tätigkeiten in einem Umfang von 3 – 6 Stunden täglich auszuüben. Wegen der noch möglichen adäquaten Pharmakotherapie sei die depressive Episode jedoch medikamentös behandelbar. Daher konnte die Klägerin nur eine befristete Rente beanspruchen. Trotz eines Leistungsvermögens der Klägerin von mehr als drei Stunden täglich war die Rente als Arbeitsmarktrente als volle Erwerbsminderungsrente zu gewähren.
Erfolglose Berufung der Rentenversicherung
Die Rentenversicherung legte gegen das Urteil Berufung ein. Wenn die Klägerin bisher nicht adäquat behandelt werde, sei davon auszugehen, dass nach einer derartigen Therapie ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin bestehen würde. Daher sei der Rentenanspruch nicht gegeben. Das Landessozialgericht folgte der Rentenversicherung nicht und wies die Berufung als unbegründet zurück.
Bei Rente wegen psychischen Erkrankungen keine anderen Beweismaßstäbe
Vom Landessozialgericht wurde auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verwiesen. Hiernach seien bei Erkrankungen mit „neurotischem“ Einschlag wegen der „Simulationsnähe“ strenge Beweisanforderungen zu stellen. Jedoch gelten bei psychischen Erkrankungen keine anderen Beweismaßstäbe als bei „körperlichen“ Erkrankungen.
Vorliegen der Erkrankung ist entscheidend
Selbst wenn die Behandelbarkeit einer psychischen Erkrankung vorliegt, ist entscheidend, ob eine quantitative Leistungsreduzierung tatsächlich vorliegt. Die Behandelbarkeit der Erkrankung ist nur für die Befristung und Dauer einer Rente von Bedeutung. Vorliegend war die Klägerin auch der Aufforderung zur Reha nachgekommen. Daher kommt eine Versagung der Rente wegen fehlender Mitwirkung nicht in Betracht.