Schlagwortarchiv für: Schwerbehinderung

Untätigkeitsklage bei Nichtbescheidung von Antrag und Widerspruch

Behörden und Sozialversicherungen müssen gesetzlichen Frist einhalten

Besonderheit im Sozialrecht

Die Untätigkeitsklage ist eine Besonderheit im Sozialrecht. Diese Klage kann man bei dem für seinen Wohnort zuständigen Sozialgericht einreichen. Somit betrifft diese Untätigkeitsklage alle Angelegenheiten, wofür das Sozialgericht zuständig ist. Hierzu gehören u.a.

  • Streitigkeiten mit den gesetzlichen Rentenversicherungen (wie Renten wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung),
  • Krankenversicherungen (wie Einstellung der Zahlung des Krankengeldes),
  • Pflegeversicherungen (wie Entscheidungen zum Pflegegrad),
  • Arbeitslosenversicherung (wie Entscheidungen über eine Sperrzeit),
  • Berufsgenossenschaften (wie Entscheidungen zu Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Wegeunfällen),
  • Streitigkeiten mit den Versorgungsämtern (wie Grad der Schwerbehinderung und Zuerkennung von Merkzeichen),
  • Jobcentern (SGB II – Leistungen) und
  • Grundsicherungsämtern (SGB XII – Leistungen).

Leistungsträger überschreitet gesetzliche Bearbeitungsfrist

Nach dem Gesetz soll der Sozialleistungsträger über einen Antrag innerhalb von sechs Monaten und über einen Widerspruch innerhalb von drei Monaten entscheiden. Dies soll gewährleisten, dass zeitnah über die Anträge und Widersprüche entschieden wird, da gerade bei Sozialleistungen die spätere Erbringung häufig den eigentlichen Sinn verfehlt. Beispielsweise nutzt es dem Schwerbehinderten wenig, wenn er erst nach Jahren rückwirkend einen Grad der Behinderung von 50 Prozent zugesprochen bekommt. Innerhalb dieser Bearbeitungszeit könnten die Nachteilsausgleiche, wie auch beispielsweise der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte noch nicht genutzt werden.

Ausnahmsweise längere Bearbeitungszeiten

Wenn beispielsweise die Behörde mitteilt, welche konkreten Ermittlungen noch notwendig sind und warum diese nicht innerhalb der Frist abgeschlossen werden können, könnte ausnahmsweise die Frist verlängert werden. Personalmangel und unzureichende Organisation der Sozialverwaltung sind jedoch kein Grund. Die Behörde hat sich so zu organisieren, dass diese selbst innerhalb der gesetzlichen Frist arbeitet. Sicherlich kann man auch vereinbaren, dass noch nicht über den Antrag oder Widerspruch entschieden werden soll, was in Einzelfällen Sinn machen kann.

Das Sozialgericht Detmold hat mit Gerichtsbescheid vom 18.04.2023 zum Aktenzeichen S 35 SO 138/22 nochmals klargestellt: „Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung eine Widerspruchs liegt dann nicht vor, wenn bei der Behörde dauerhaft eine unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung vorliegt und ein zeitgerecht Entscheidung deshalb nicht möglich ist.“ Weiter stellte das Gericht klar: „Die Behörde hat – aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz folgend – regelmäßig sicherzustellen, dass ihre Abläufe derart organisiert sind, dass eine Bescheidung innerhalb der gesetzlichen Fristen erfolgen kann.“

Das Hessische Landessozialgericht hat bereits mit Beschluss vom 20.11.2012 zum Aktenzeichen L 7 AS 484/12 B entschieden, dass es unstatthaft ist, wenn eine Behörde mehrere Monate zuwartet und erst gegen Ende der Frist des § 88 SGG oder noch später tätig wird. Vielmehr ist das Verfahren innerhalb der Frist abzuschließen.

Die Entscheidungen verweisen häufig zudem auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.1985 zum Aktenzeichen 2 BvR 1145/83. Hier hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine erhebliche Verzögerung durch eine Behörde als Untätigkeit gegen das Willkürverbot des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz verstoßen kann. Am Willkürverbot sind hiernach „nicht alleine die von den Behörden getroffenen Entscheidungen zu messen, es gilt auch für die Handhabung des Verfahrens, dass der Herbeiführung einer gesetzmäßigen, gerechten und letztlich auch in angemessener Zeit gefundenen Entscheidung dient“.

Muss der Antragsteller / Widerspruchsführer vor Klage bei der Behörde nachfragen

NeinDie gesetzlichen Fristen sind eindeutig. Beispielsweise hat das Sozialgericht Bremen am 13.11.2016 zum Aktenzeichen S 21 AS 231/15 entschieden, dass eine vorherige Sachstandsanfrage nicht erforderlich ist. Die Behörde hat dem Antragsteller einer berechtigten Untätigkeitsklage auch die Kosten für seinen Rechtsanwalt auf der Grundlage der gesetzlichen Gebühren zu erstatten.

Das Hessische Landessozialgericht hat mit Beschluss vom 09.06.20022 zum Aktenzeichen L 4 SO 17/22 B ebenfalls bestätigt, dass es vor der Erhebung der Klage wegen Untätigkeit keine Erkundungspflicht gibt. Vielmehr hat die Behörde / Sozialversicherung die Möglichkeit, einer Untätigkeitsklage vorzubeugen. Hierzu muss sie von sich aus dem Antragsteller, bzw. Widerspruchsführer vor Ablauf der Frist den zureichenden Grund für die Nichtbescheidung innerhalb der gesetzlich vorgegeben Frist mitteilen.

Kündigung Schwerbehinderter ohne Zustimmung Integrationsamts lässt Diskriminierung vermuten

  1. Allgemeines Gleichstellungsgesetz (AGG) – Schwerbehinderung

Ziel des AAG ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rase, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Religion, der Weltanschauung, des Alters und eben auch wegen einer Behinderung zu beseitigen oder zu verhindern. (§ 1 AGG)

Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person aus den zuvor genannten Gründen eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. (§ 3 Absatz 1 AGG)

Beschäftigte dürfen nicht wegen eines der zuvor genannten Gründe benachteiligt werden. (§ 7 Absatz 1 AGG)

Ein Beschäftigter, der einen Schaden erleidet, der nicht Vermögensschaden ist, kann eine Entschädigung in Geld von bis zu drei Monatsgehältern verlangen. (§ 15 Absatz 2 AGG)

Wenn im Streitfall die eine Person Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines der zuvor genannten Gründe vermuten lassen, trägt die andere Person die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutze der Benachteiligung vorgelegen hat. (§ 22 AGG)

  1. Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)

Das SGB IX regelt die Rehabilitation und die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Teil 3 des SGB IX enthält Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen. In Kapitel 4 dieses Teil 3 sind die Regelungen für den Kündigungsschutz von schwerbehinderten Menschen enthalten.

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. (§ 168 SGB IX)

  1. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 02.06.2022 zum Aktenzeichen 8 AZR 191/21

Das Bundesarbeitsgericht stellte im genannten Urteil klar:

„Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet die widerlegbare Vermutung, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte. Zu diesen Vorschriften gehört auch § 168 SGB IX, wonach die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts bedarf.“

  1. Sachverhalt zum Urteil vom 02.06.2022

In den dem Urteil zugrundeliegenden Fall hatte ein schwerbehinderter Kläger eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG eingeklagt. Der Kläger wurde ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt. Im Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht bezüglich der Kündigung.

Der Kläger klagte darüber hinaus eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG ein, da vor Kündigung des Arbeitsverhältnisses die Zustimmung des Versorgungsamtes nicht eingeholt wurde. Die Klage vor dem Arbeitsgericht und anschließende Berufung des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht wurden abgewiesen. Der Kläger legt Revision ein, dass das Bundesarbeitsgericht sich mit der Rechtslage auseinandersetzen musste und zu dem oben genannten rechtlichen Wertungen kam.

Die Revision hatte jedoch keinen Erfolg, da der Kläger vor der Kündigung dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderteneigenschaft nicht angezeigt hatte. Daher konnte der Kläger – auch nicht anderweitig – Indizien nachweisen, dass eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung erfolgt sei.

  1. Zusammenfassung

Das Bundesarbeitsgericht hat bereits in der Vergangenheit zur Indizwirkung von Verstößen des Arbeitgebers gegen Vorschriften zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Berufsleben entscheiden. Jedoch ergingen die bisherigen Entscheidungen im Wesentlichen um die Benachteiligung von Schwerbehinderten bei Bewerbungen und Neuanstellungen.

Nunmehr hat das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung auf Fälle ausgeweitet in Bezug auf den Schutz von schwerbehinderten Menschen im Zusammenhang mit der Kündigung.

  1. Praxishinweis

Schwerbehinderte Menschen (ab einen Grad der Behinderung von 50) und mit schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Menschen (ab einen Grad der Behinderung von 30 und zusätzlich Gleichstellung durch Agentur für Arbeit) sollten ihren Arbeitgebern die Schwerbehinderung, bzw. die Gleichstellung nachweislich anzeigen. Dann wirken sowohl der erhöhte Kündigungsschutz, wie auch der Indiz für eine Benachteiligung bei fehlender vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes.

Neufeststellung des GdB und Bestimmung des Gesamt-GdB

Zur Neufeststellung des GdB (Grad der Behinderung) und zur Bestimmung des Gesamt-GdB (Gesamtgrad der Behinderung) wurde durch das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 13.01.2022 zum Aktenzeichen L 6 SB 639/21 vom 13.01.2022 klargestellt:

  1. Neufeststellung des GdB

Voraussetzung für eine Neufeststellung des GdB ist eine tatsächliche Änderung des Gesundheitszustandes gegenüber dem Zeitpunkt, zu dem der maßgebliche Vergleichsbescheid erlassen worden ist.

Erläuterung:

Der Vergleichsbescheid ist der letzte Bescheid über die Feststellung des GdB, welcher mit der Neufeststellung abgeändert werden soll. Sowohl der Schwerbehinderte, wie auch das Versorgungsamt können eine Neufeststellung anstreben, wenn sich eine tatsächliche Änderung des Gesundheitszustandes ergeben hat. Die Neufeststellung kann zu einer Erhöhung, aber auch zu einer Verringerung des bisherigen GdB führen.

2. Verbot der reformatio in peius

Im Rechtsmittelverfahren ist die teilweise Aufhebung eines rechtswidrig zu hoch festgestellten GdB wegen des Verbotes der reformatio in peius nicht zulässig.

Erläuterung:

Der Grundsatz des reformatio in peius wird aus dem Rechtsstaatsprinzip des Artikels 20 Absatz 3 Grundgesetz abgeleitet.

Der aus dem Latein stammende Ausdruck reformatio in peius bedeutet in der Rechtswissenschaft ein Verböserungsverbot. Damit ist gemeint, dass es im Verwaltungsrecht und im Sozialrecht unzulässig ist, einen Bescheid oder ein Urteil zulasten des Rechtsmittelführers zu verbösern. Die Entscheidung nach der Einlegung des Rechtsmittels (wie Widerspruch oder Berufung) darf mithin nicht belastender ausfallen, als die Ausgangsentscheidung war. Damit soll der Rechtsmittelführer (Widerspruchsführer, Kläger, Berufungskläger) nicht aus Angst vor einer Verböserung vom Rechtsmittel abgeschreckt werden.

Somit darf im Verwaltungsverfahren die Widerspruchsbehörde dem Widerspruch des Rechtsmittelführers abhelfen, wie auch zurückweisen, jedoch nicht mit einer zusätzlichen Beschwer verbösern. Das Gleiche gilt im Sozialgerichtsverfahren.

  1. Der Gesamt-GdB ist nicht an starre Beweisregeln gebunden

Der Gesamtbehinderungsgrad (Gesamt-GdB) ist nicht nach starren Beweisregeln zu bestimmen, sondern ist aufgrund der richterlichen Erfahrung, auch unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen.

Erläuterung:

Auf der ersten Prüfungsstufe ist durch das Gericht zu ermittelnden, ob nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen vorliegen und die sich hieraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen sind ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen. Dabei dienen die ärztlichen Unterlagen und Sachverständigengutachten der richterlichen Wertung. Nicht der Sachverständige bestimmt den Grad der Behinderung, sondern das Gericht unter Nutzung des ärztlichen Sachverstandes, wie beispielsweise aus den Gutachten.

Auf der zweiten Prüfungsstufe ist durch das Gericht der jeweilige Einzelgrad der Behinderung (Einzel-GdB) für die jeweilige Teilhabebeeinträchtigung zu bestimmen, wie ein Einzel-GdB für die Wirbelsäulenerkrankungen, ein Einzel-GdB für die psychischen Erkrankungen usw.

Auf der dritten Prüfungsstufe ist durch das Gericht der Gesamt-GdB zu bestimmen. Hier sind entsprechend der Entscheidung des LSG über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus auch weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diesbezüglich verweis das LSG auf den Beschluss des BSG (Bundessozialgericht) vom 09.12.2010 zum Aktenzeichen B 9 SB 35/10 B.

In dieser Entscheidung des BSG heißt es:

„Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem zweiten und dritten Verfahrensschritt hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die als sog antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) einbezogen worden. Dementsprechend sind die AHP nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten (s BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 9 RdNr. 25 m. w. N.). Für die seit dem 1.1.2009 geltende Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zur Versorgungsmedizin-Verordnung gilt das Gleiche.“

  1. Nur der Gesamt-GdB wird rechtverbindlich entschieden

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB.

Erläuterung:

Nur was im Verfügungssatz des Bescheides, des Widerspruchsbescheides, bzw. des Urteils steht, stellt die rechtsverbindliche Entscheidung dar. Jedoch dienen dieser rechtsverbindlichen Entscheidung zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die hieraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen, wie auch deren Auswirkungen lediglich der Begründung des Bescheides, bzw. der Urteilsbegründung. Sie stellen für sich keine eigene rechtsverbindliche Feststellung eines Teil-GdB dar. Es wird beispielsweise nicht ein Teil-GdB für die Wirbelsäulenerkrankung und ein Teil-GdB für psychischen Erkrankungen festgestellt, sondern ein Gesamt-GdB, ohne im Verfügungssatz eine Erkrankung zu benennen.

Long-COVID und GdB – Grad der Behinderung

Corona überstanden, aber mit Long-COVID weiter eingeschränkt

Selbst nach leichten Corona-Krankheitsverläufen können gesundheitliche Problematiken über sehr lange Zeit bestehen, welche als Long-COVID bezeichnet werden. Vorliegender Artikel beschäftigt sich damit, ob sich wegen Long-COVID ein GdB (Grad der Behinderung) erlangen, bzw. erhöhen lässt. Wer wegen Long-COVID Fragen zur Rente wegen Erwerbsminderung und sonstigen Lohnersatzleistungen hat, sollte sich meinen gestrigen Artikel ansehen. Vorliegend geht es ausschließlich um Fragen des GdB.

Antrag erforderlich

Ein GdB wird nur auf Antrag zugesprochen. Dieser Antrag ist beim zuständigen Versorgungsamt zu stellen. Beispielsweise ist dies in Berlin das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) und in Brandenburg das Landesamt für Soziales und Versorgung. Zunächst reicht es aus, zu schreiben: „Hiermit beantrage ich die Zuerkennung eines GdB in Höhe von mindestens 50 von Hundert.“ Ab diesem GdB hat man neben dem Kündigungsschutz auch den Zusatzurlaubsanspruch von 5 Tagen und kann vorzeitig ohne Abschläge, bzw. mit geringeren Abschlägen in Rente wegen Schwerbehinderung gehen.

Nach der Antragstellung schickt das Versorgungsamt einen Fragebogen zu, welcher auszufüllen und zurückzusenden ist. Auf dieser Grundlage wird das Versorgungsamt die entsprechenden ärztlichen Unterlagen anfordern und die Voraussetzungen für den GdB prüfen.

Ursache der Behinderung nicht entscheidend

Bei der Höhe eines GdB kommt es nicht darauf an, was die Ursache der Behinderung gesetzt hat. Die Behinderung kann beispielsweise von Geburt an vorliegen, durch einen Unfall oder eine Erkrankung. So kann auch Long-COVID zu einen Grad der Behinderung führen, abhängig von der Schwere der jeweiligen gesundheitlichen Einschränkungen.

Bemessung des GdB

Die Bestimmung des einzelnen Grades der Behinderung erfolgt anhand der Versorgungsmedizinverordnung. In dieser finden sich zu den einzelnen Gesundheitseinschränkungen zu gewährende GdB abhängig von der individuellen Schwere der Erkrankungen. Die jeweiligen Einzel-GdB werden nicht addiert. Vielmehr muss der Gesamt-GdB mindestens so hoch sein wie der höchste Einzel-GdB und erhöht sich entsprechend der Schwere und Vielzahl der weiteren vorliegenden Einzel-GdB. Liegt beispielsweise wegen einer Erkrankung der Wirbelsäule der höchste Einzel-GdB bei 40 und es liegen noch ein Einzel-GdB für die Psyche von 30 und für die Lungenerkrankung von 20 vor, könnte der Gesamt-GdB bei 50 liegen.

Long-COVID selbst nicht in Versorgungsmedizinverordnung enthalten

Naturgemäß ist für Long-COVID kein gesonderter GdB in der Versorgungsmedizinverordnung enthalten. Vielmehr sind bei der Vielschichtigkeit der Long-COVID Erkrankungen die einzelnen gesundheitlichen Einschränkungen und deren Schwere zu betrachten. So können die Lungenfunktionseinschränkungen geringen Grades zu einem GdB von 20 – 40 führen und schweren Grades zu einem GdB von 80 – 100. Psychische Traumen, welche gerade nach Erlebnissen auf Intensivstationen vorkommen, sind ebenfalls ihrer Schwer nach zu beurteilen. So führen leichte psychische Störungen zu einem GdB von 0 – 20 und schwere psychische Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten zu einem GdB von 80 – 100. Entsprechend wird anhand der medizinischen Unterlagen und Begutachtung auch jede andere Krankheit und deren Schwere individuell geprüft.

Rechtsmittel und Gerichtskosten

Sollte der Antrag entweder abgelehnt werden oder nicht im begehrten Umfang stattgegeben werden, ist gegen diesen Bescheid innerhalb eines Monats Widerspruch einzulegen. Das Versorgungsamt darf grundsätzlich keine Gebühren für das Widerspruchsverfahren verlangen, wie auch nicht für die notwendigen Ermittlungen (Anforderung Befundberichte, Gutachten).

Sollte dem Widerspruch nicht mit einem Abhilfebescheid stattgegeben werden, sondern ein Widerspruchsbescheid ergehen, ist innerhalb eines Monats beim Sozialgericht des eigenen Wohnsitzes die Klage einzureichen. Das Sozialgericht verlangt keine Gebühren für das Gerichtsverfahren und die selbst vom Sozialgericht eingeleiteten Ermittlungen, wie Befundberichte anfordern, Gutachterbeauftragung usw. Selbst wenn das Sozialgerichtsverfahren nicht erfolgreich sein sollte, kann das Versorgungsamt ebenfalls keine Gebühren erheben.

Rechtsanwaltskosten und Erstattung

Bei der Beauftragung eines Rechtsanwalt, Fachanwalts für Sozialrecht, entstehen Rechtsanwaltsgebühren im Widerspruch-, wie im Klageverfahren. Sofern eine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung besteht, übernimmt diese im Rahmen des Versicherungsvertrages Rechtsanwaltsgebühren. Beim teilweisen oder vollständigen Obsiegen bestimmt das Sozialgericht auf Antrag, ob und in welchem Umfang das Versorgungsamt Rechtsanwaltsgebühren zu erstatten hat.

Long-COVID, Rente und andere Lohnersatzleistungen

COVID-Erkrankung überstanden, aber nicht gesund

Schwere wie auch leichte COVID-Erkrankungen können erhebliche gesundheitliche Langzeitfolgen verursachen. Diese Langzeitfolgen sind unterschiedlichster Art und werden als Post-COVID oder Long-COVID bezeichnet. Betroffene Patienten können ihrer bisherigen Arbeit nicht mehr nachgehen, bzw. sind überhaupt nicht mehr belastbar. Daher hat sich die Fragestellung ergeben, welche Lohnersatzleistungen infolge von Long-COVID möglich sind. In einem gesonderten Artikel habe ich Long-Covid und Erlangung eines GdB erläutert. Diesen finden Sie hier.

Krankengeld läuft aus, was nun

Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung haben grundsätzlich Anspruch auf 78 Wochen Krankengeld einschließlich der 6 Wochen Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Kann man im Anschluss zwar nicht mehr auf seinem bisherigen Arbeitsplatz tätig sein, jedoch auf einen anderen Arbeitsplatz mit weniger gesundheitlichen Anforderungen, dann kann Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit in Betracht kommen. Dieses ist bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu beantragen.

Ansteckung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses oder auf dem Weg von und zur Arbeit

Sofern die Ansteckung nachweislich im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erfolgt ist, kommen Leistungen der Berufsgenossenschaft in Betracht, wie Verletztengeld und in Einzelfällen auch eine Rente von der Berufsgenossenschaft. Das Gleiche gilt, wenn es sich nachweislich um eine Ansteckung auf den Weg von oder zur Arbeit handelt. In diesem Fall würde ein sogenannter Wegeunfall vorliegen. In den meisten Fällen dürfte jedoch der Nachweis der Ansteckung während der Arbeit, bzw. auf dem Arbeitsweg schwer fallen. Da die Leistungen der Unfallversicherung höher sind als die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, lohnt sich eine entsprechende Antragstellung bei der Berufsgenossenschaft.

Reha bei Long-COVID

Nach einer durchlebten COVID-Erkrankung und weiterhin bestehender gesundheitlicher Langzeitfolgen kommen zudem Rehabilitationsleistungen in Betracht. Diese können von der Krankenversicherung mit dem Ziel der Stabilisierung und Besserung des Gesundheitszustandes erbracht werden. Die gesetzlichen Rentenversicherung kann eine Reha gewähren zur Aufrechterhaltung, bzw. Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit. Ist die Ansteckung als Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Wegeunfall von der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt, dann kann auch die Unfallversicherung Reha-Leistungen durchführen.

Erwerbsminderungsrente bei Long-COVID

Die gesetzliche Rentenversicherung unterscheidet bei der Gewährung von Renten wegen Erwerbsminderung nicht nach der Ursache der gesundheitlichen Einschränkungen. Auch wegen Long-COVID kann eine teilweise oder volle Rente wegen Erwerbsminderung in Betracht kommen. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhält, wer wegen Krankheit oder Behinderung zwar noch drei Stunden täglich arbeiten kann, aber keine sechs Stunden mehr. Wer wegen Krankheit oder Behinderung nicht einmal mehr drei Stunden täglich arbeiten kann, erhält eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Rente wegen Erwerbsminderung kann es auch geben, wenn Wegeunfähigkeit vorliegt. Wegeunfähigkeit bedeutet, dass man gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, eine mögliche Arbeitsstelle zu erreichen. Davon wird ausgegangen, wenn man selbst nicht mehr einen Pkw führen kann und zugleich 500 m zu Fuß viermal täglich jeweils innerhalb von 20 Minuten nicht mehr bewältigt, bzw. keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr nutzen kann. Long-COVID kann zu derartigen Problematiken führen.

Grundsätzlich wird eine Rente wegen Erwerbsminderung zunächst auf Zeit gewährt, insbesondere wenn die Möglichkeit der gesundheitlichen Besserung besteht.

Reha-Antrag gilt zugleich als Rentenantrag

Grundsätzlich gilt, das Reha vor Rente gilt. Zunächst soll mit einer Reha versucht werden, die Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen. Ist die Reha nicht zu diesem Erfolg gekommen, gilt bereits der Reha-Antrag als Rentenantrag. Da bei Long-COCID zunächst grundsätzlich nur eine befristete Rente zu gewähren sein dürfte noch folgender Hinweis: Bei einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung beginnt die Rentenzahlung erst im siebten Monat der auf den Eintritt der Erwerbsminderung folgt. Daher sollte der Rentenantrag rechtzeitig gestellt werden, d.h. so lange noch andere Lohnersatzleistungen die Zeit bis zum möglichen Rentenbeginn abdecken.

Ergänzende Leistungen nach dem SGB II und SGB XII (Hartz IV)

Reichen die Leistungen aus dem Arbeitslosengeld, dem Krankengeld, dem Verletztengeld, der Rente usw. nicht für den Lebensunterhalt aus, können ergänzende Sozialleistungen nach dem SGB II, bzw. SGB XII (Harzt IV) beantragt werden. Hier gibt es die Regelsätze für den Lebensunterhalt zuzüglich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Auf diese Sozialhilfe-Leistungen werden die anderen Lohnersatzleistungen angerechnet, dass der offene Differenzbetrag ausgezahlt wird.

Störung Betriebsklima – unwirksame Kündigung, GdB 60

Wenn das Betriebsklima gestört wird, gibt es mildere Mittel gegenüber eine Kündigung, dass auch bei Störung Betriebsklima die Kündigung nur das letzte Mittel sein kann.

Sachverhalt

Der Arbeitgeber hatte eine Mitarbeiterin mit einem GdB von 60 aufgrund gekündigt, da diese Mitarbeiterin das Betriebsklima gestört haben soll. Der Mitarbeiterin wurde Äußerungen unterstellt wie: „Hast du Alzheimer, oder was? Bist du blöd?“; „Lügnerin“ und „Sie sind keine Polizei, den Werksausweis gebe ich Ihnen nicht. Sie sind ein Rassist.“

Der Arbeitgeber kündigte der Klägerin wegen Störung des Betriebsfriedens. Zuvor hatte der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung des Betriebes angehört, den Betriebsrat angehört und die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt.

Arbeitsgericht

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und mit Urteil festgestellt, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Hier legte die Arbeitgeberin die Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln zum dortigen Aktenzeichen 6 Sa 790/20 ein.

Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 22.04.2021

Das Landesarbeitsgericht bestätigt das Urteil des Arbeitsgerichts und wies im Ergebnis die Berufung zurück. Selbst wenn der Vorwurf Störung Betriebsklima und die unterstellten Äußerungen und Verhaltensweisen zutreffend würden, war die Kündigung nicht gerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht stellte klar, dass eine Kündigung „nur dann verhältnismäßig sein kann, wenn milderte zur Zielerreichung geeignete Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen.“

Mildere Mittel gegenüber einer Kündigung

Wie zuvor das Arbeitsgericht hat das Landesarbeitsgericht ebenfalls als ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung eine weitere Abmahnung gesehen. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht als weitere mildere Mittel gesehen: „moderierte Teamgespräche, Mediation, Coaching, enge Führung usw.“ Nichts davon sei zuvor von der Arbeitgeberin ernsthaft versucht worden.

Inklusionsverfahren

Das Landesarbeitsgericht wies zudem auf das Präventionsverfahren gemäß § 167 SGB IX hin. Zwar hatte die Arbeitgeberin vorgetragen, bereits Präventionsverfahren durchgeführt zu haben mit dem Ziel: „um die Klägerin zu einer Verhaltensänderung für die Zukunft zu bewegen.“ Das Landesarbeitsgericht stellte klar, dass allein diese Äußerung des Arbeitsgebers ersichtlich macht, der Arbeitgeber hat eine vom Gesetz abweichende Vorstellung vom Ziel dieses Präventionsverfahrens.

Das Landesarbeitsgericht stellt klar: „Der Zweck der Regelung ergibt sich ausdrücklich aus dem Wortlaut: Die Vorschrift soll Schwerbehinderte in dem Bestand ihres Arbeitsverhältnisses schützen. Sie soll Kündigungen und auch schon Gefährdungen von Arbeitsverhältnissen verhindern. Hierzu sollen möglichst frühzeitig die Schwierigkeiten erkannt werden, um ihnen dann entgegenzuwirken. Durch die rechtzeitige Einschaltung der Schwerbehindertenvertretung und ggf. der Rehabilitationsträger bzw. des Integrationsamts bei Eintreten von Schwierigkeiten soll der Bestand des Arbeitsverhältnisses durch möglichst frühzeitige Hilfestellung der genannten Einrichtungen nach Möglichkeit gesichert werden.“

Das Ziel des Arbeitgebers, die Klägerin zu einem geänderten Verhalten zu bewegen, wird dem gesetzlichen Präventionsverfahren nicht gerecht.

Beteiligung Schwerbehindertenvertretung bei Kündigung

Bildung Schwerbehindertenvertretung

In Betrieben mit wenigsten fünf schwerbehinderten Menschen ist eine Schwerbehindertenvertretung zu wählen.

Unterrichtung und Anhörung

Diese Vertretung ist in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen Schwerbehinderten oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören.

Kündigung ohne Anhörung unwirksam

Sollte der Arbeitgeber einen schwerbehinderten Menschen kündigen, muss zuvor die Schwerbehindertenvertretung angehört werden. Ohne Anhörung ist jede Änderungskündigung oder Beendigungskündigung unwirksam. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer jedoch innerhalb von drei Wochen beim Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage erheben.

Anhörung ist nicht nur Formsache

An einer ordnungsgemäßen Anhörung fehlt es, wenn die Vertretung nicht ausreichend unterrichtet wurde. Diese Unterrichtung soll die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Hier gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Unterrichtung des Betriebsrats.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 13.12.2018 zum Aktenzeichen 2 AZR 378/18

Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass der Inhalt der Unterrichtung nicht auf schwerbehindertenspezifische Kündigungsbezüge reduziert ist. Zugleich führte das Gericht aus, dass es an einer ordnungsgemäßen Anhörung mangelt, wenn die Schwerbehindertenvertretung zwar ordnungsgemäß unterrichtet worden ist, jedoch keine genügende Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.

Welche vorzeitige Rente soll ich in Anspruch nehmen?

Wer in Rente gehen will, sollte zuvor genau prüfen, für welche Rente wann die Voraussetzungen erfüllt sind und welche Rente persönlich die beste Wahl ist.

Reguläre Altersrente beginnt mit Vollendung 67. Lebensjahr.

Der grundsätzliche Renteneintritt ist für die Regelaltersrente mit der Vollendung des 67. Lebensjahres vorgesehen. Ein früherer Rentenbeginn ist mit einem lebenslangen Abschlag verbunden. Der stufenweise Anstieg für die Geburtsjahrgänge 1947 bis 1964 erfolgt aufgrund von Vertrauensschutz. Jedoch kann nicht jeder bis zur Regelaltersrente arbeiten. Das Gesetz sieht einige Ausnahmen vor. Es können u.a. die nachfolgenden Renten zu einem früheren Renteneintritt führen:

  • Altersrente für besonders langjährig Versicherte

Diese Altersrente gibt es in zwei Varianten:

  1. Altersrente mit 65 Jahren und 45 Wartezeitjahre
  2. Altersrente ab dem 63. Lebensjahr als neue Form seit dem 01.07.2014.


Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen

Wer einen Grad der Behinderung von 50 % nachweist, kann unter Maßgabe von mindestens 35 Jahren Wartezeit bereits zwei Jahre früher ohne Abschlag in Rente gehen. Sofern er Rentenabschläge in Kauf nimmt, kann er bis zu drei weitere Jahre früher in Rente gehen. Daher kann es wichtig sein, rechtzeitig vor Rentenbeginn beim Versorgungsamt den Behinderungsgrad von 50 % zu beantragen.

  • Rente wegen Erwerbsminderung

Eine volle Erwerbsminderungsrente setzt u.a. voraus, dass man entweder nicht mehr den Arbeitsweg bewältigen kann (Wegeunfähigkeit) oder nicht mehr in der Lage ist, wenigstens 3 Stunden täglich zu arbeiten.

Wer zwar noch 3 Stunden, aber keine 6 Stunden mehr täglich arbeiten kann, sollte eine teilweise Erwerbsminderungsrente beantragen.

  • Individuell prüfen, welche Rente günstiger ist

Wer ab 2019 in Rente gehen will oder muss, weil er krank ist oder eine Schwerbehinderung hat, kann im Vergleich zu einer vorgezogenen Altersrente mit der neuen Erwerbsminderungsrente besser fahren. Denn die neue Zurechnungszeit 2019 mit der schlagartigen Erhöhung auf das 65. Lebensjahr und 8 Kalendermonate wird in vielen Fällen, zu einer ordentlichen Rentensteigerung führen. Somit können Vorteile bei der Erwerbsminderungsrente gegenüber einer vorgezogenen Altersrente bestehen.

  • Widerspruch und Klage

Wird die beantragte Rente oder der beantragte Grad der Behinderung abgelehnt, muss innerhalb eines Monats der Widerspruch eingelegt werden. Sollte auch der darauf folgende Widerspruchsbescheid negativ sein, muss innerhalb eines Monats die Klage erhoben werden, sofern man mit der Ablehnung nicht einverstanden ist. Hierbei kann Ihnen Ihr Fachanwalt für Sozialrecht helfen, der sich auch aufgrund der damit verbundenen gesundheitlichen Fragen zusätzlich im Medizinrecht auskennen sollte.


cof

Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung trotz Unkenntnis des Arbeitgebers bei Ausspruch der Kündigung

Schwerbehinderteneigenschaft Arbeitgeber bei Kündigung nicht bekannt

Ein Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung des Arbeitnehmers kann auch dann vorliegen, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung noch keine Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft hatte.

Mitteilungsfrist des Arbeitnehmers

Der Arbeitnehmer muss aber dem Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 4 Kündigungsschutzgesetz darüber informieren, d. h. innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung. Nach dem Urteil das Bundesarbeitsgerichts vom 22.09.2016 zum Aktenzeichen 2 AZR 700/15 ist eine Zeitspanne hinzuzurechnen, innerhalb derer der Arbeitnehmer den Zugang der Mitteilung beim Arbeitgeber bewirken kann.

Ergänzung der Anhörung des Betriebsrats

Die Anhörung des Betriebsrats ist durch den Arbeitgeber zu ergänzen, wenn sich vor Ausspruch der Kündigung der dem Betriebsrat unterbreitete Sachverhalt in wesentlichen Punkten zugunsten des Arbeitnehmers geändert hat, so wie beim Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung

Die Revision des Arbeitgebers gegen das stattgebende Urteil des Landesarbeitsgerichts blieb ohne Erfolg. Mangels Zustimmung des Integrationsamtes war die Kündigung gemäß § 85 SGB IX in Verbindung mit § 134 BGB nichtig, da der Kläger zum Kündigungszeitpunkt als schwerbehinderter Mensch anerkannt gewesen sei und somit das Recht hatte, sich auf den Sonderkündigungsschutz zu berufen.

Rechtszeitige Information von Schwerbehinderteneigenschaft

Der Kläger hatte rechtzeitig den Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft informiert. Daher ist auch keine Verwirkung eingetreten. Die Verwirkung trete nur ein, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft keine Kenntnis hatte und der Arbeitnehmer sich nicht innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG darauf beruft. So das Bundesarbeitsgericht.

Überlegungsfrist des Arbeitnehmers

Nach den Ausführungen des Gerichts könne der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum überlegen, ob er den Sonderkündigungsschutz geltend macht. Außerdem sei dem Arbeitnehmer zusätzlich eine Zeitspanne einzuräumen, um den Zugang der Mitteilung beim Arbeitgeber zu bewirken. Diese Ausführungen waren erforderlich, da der Arbeitnehmer den Arbeitgeber erst 22 Tage nach Zugang des Kündigungsschreibens über die Antragstellung informierte. Die Dreiwochenfrist hätte nach 21 Tagen geendet.