Im Bereich der Arzneimittelhaftung und der Medizinproduktehaftung hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Bedingungen für eine Prozessführung in den letzten Jahren Immer mehr zugunsten des Geschädigten erleichtert.
1. Produktfehler schon bei Zugehörigkeit zu fehlerhafter Produktserie
Eine ganze Vielzahl entsprechender Produkte betreffend, hat der BGH die mit Spannung erwartete Entscheidung des EuGH zum Fehlerbegriff nun in seine nationale Rechtsprechung übertragen, wonach schon das Risiko einer Fehlfunktion wegen Zugehörigkeit zu einer fehlerhaften Produktserie Schadensersatzansprüche auslöst.
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin regressiert als gesetzliche Krankenversicherung Kosten für den Austausch zweier Herzschrittmacher gegen seitens des Herstellers kostenlos zur Verfügung gestellte Austauschgeräte. Hintergrund dessen waren „dringende Sicherheitsinformationen“ des Herstellers, wonach die hermetische Versiegelung der Geräte möglicherweise einem sukzessiven Verfall mit vorzeitigem Funktionsverlust unterläge. Mit bis zu 0,88 % lag das Fehlerrisiko bis zu 20-fach höher als das reguläre Fehlerrisiko.
Die ausgetauschten Geräte waren im Zuge der Operationen entsorgt worden, weshalb sie als Beweismaterial für den Prozess nicht mehr zur Verfügung standen. Soweit § 3 ProdHG einen Fehler dahingehend definiert, dass ein Produkt „nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände […] berechtigterweise erwartet werden kann“, kam eine Haftung mithin lediglich für den Fall in Betracht, dass bereits die Zugehörigkeit zu einer erhöht fehleranfälligen Serie aus einem fehlerfreien ein fehlerhaftes Produkt macht. Das haben EuGH und in der Folge auch BGH nun bejaht.
Der EuGH hat wie folgt entschieden:
Der EuGH verweist zur Auslegung der maßgeblichen Ril. 85/374 zunächst auf deren 6. Erwägungsgrund, wonach die Frage der berechtigten Sicherheitserwartung anhand der berechtigten Erwartungen der Allgemeinheit vorzunehmen sei (nicht der Ärzteschaft oder spezialisierter Techniker). Bei den hier relevanten Herzschrittmachern bzw. Defibrillatoren seien die Anforderungen an ihre Sicherheit, die die Patienten zu erwarten berechtigt sind, in Anbetracht ihrer Funktion und der Situation besonderer Verletzlichkeit der diese Geräte nutzenden Patienten zudem aber auch besonders hoch. Außerdem bestehe der potenzielle Mangel an Sicherheit hier in der anormalen Potenzialität eines Personenschadens, der durch sie verursacht werden kann. Daher könnten im Fall der Feststellung eines potenziellen Fehlers solcher Produkte derselben Produktgruppe oder Produktionsserie alle Produkte dieser Gruppe oder Serie als fehlerhaft eingestuft werden, ohne dass ein Fehler des betreffenden Produkts nachgewiesen zu werden braucht.
Operationen, die zum Austausch solcher Geräte durchgeführt würden, erfüllten zudem auch den Tatbestand der Körperverletzung, da dieser Begriff im Hinblick auf die von der Richtlinie verfolgten Ziele des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit der Verbraucher weit auszulegen sei. Entsprechend umfasse Schadensersatz alles, was erforderlich sei, um die Schadensfolgen zu beseitigen und das Sicherheitsniveau wiederherzustellen, das man zu erwarten berechtigt ist, einschließlich der Kosten im Zusammenhang mit dem Austausch des fehlerhaften Produkts einschließen.
EuGH 05.03.2015 – C-503/13
Der BGH hat wie folgt entschieden:
Der BGH ging in der Konsequenz von einem fehlerhaften Produkt aus, verwies die Sache jedoch gleichwohl zurück, weil bislang keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden seien, ob die Empfehlung des Herstellers, „die Programmierung der ‚Magnetfunktion aktivieren‘ auf ‚AUS (OFF)‘ vorzunehmen“, dazu führe, dass die Magnetfunktion keinen therapeutischen Nutzen mehr habe, und ob eine solche Deaktivierung bereits geeignet sei, den Fehler zu beseitigen, oder ob dafür ein Austausch des Produkts erforderlich sei.
BGH 09.06.2015 – VI ZR 327/12
Fundstelle: ARBER-Info November/Dezember 2015