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Wegeunfähigkeit kann zur Rente wegen Erwerbsunfähigkeit führen

Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erhält man auf Antrag von der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, wenn man auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr wenigsten drei Stunden täglich tätig sein kann.

Wenn der Versicherte nach den vorgenannten Kriterien erwerbsfähig ist, kann die Rente wegen voller Erwerbsminderung trotzdem gewährt werden aufgrund einer aufgehobenen Wegefähigkeit.

Wegefähigkeit

Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch die Fähigkeit, eine Arbeitsstelle aufzusuchen, was von den Sozialgerichten als Wegefähigkeit bezeichnet wird. Grundsätzlich wird von einem generalisierenden Maßstab ausgegangen, auch im Sinne der Gleichbehandlung aller Versicherten.

Langjährige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Voraussetzungen der Wegefähigkeit

Das Bundessozialgericht stellte vor Jahren die Kriterien für eine Wegefähigkeit klar. Es ist zu unterscheiden zwischen der Bewältigung des Arbeitsweges mit einem eigenen Pkw und der Bewältigung des Arbeitsweges mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Beides muss für das Vorliegen der Wegeunfähigkeit ausgeschlossen sein.

Nutzung eines eigenen Pkw

Der Rentenantrag kann abgelehnt werden, wenn

  • dem Versicherten ein Pkw zur Verfügung steht,
  • er eine Fahrerlaubnis besitzt und
  • er gesundheitlich fähig ist, ein Pkw im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. So können zum Beispiel Fahruntüchtigkeit wie Anfallsleiden, eingeschränktem Sehvermögen oder Schwindelattacken der Pkw-Nutzung entgegenstehen, ebenso wie die Einnahme von Schmerzmitteln.

Wenn dem Versicherten ein Pkw nicht zur Verfügung steht, kommen zur Behebung der Wegeunfähigkeit aber auch Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben gemäß der Kfz-Hilfe-VO in Betracht. Jedoch muss nicht nur ein Angebot von Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation vorliegen. Vielmehr erst mit der erfolgreichen Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen muss die Wegefähigkeit effektiv wiederhergestellt sein. 

Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel

Wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, ohne besondere Gefahr für sich oder andere täglich viermal Wegstrecken von 500 Metern mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und zusätzlich zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen so liegt die Wegefähigkeit nicht mehr vor.

Damit soll sichergestellt werden, dass der Versicherte gesundheitlich in der Lage ist, von zu Hause zu einer Haltestelle öffentlichen Verkehrsmitteln zu Fuß zu kommen, von der Zielhaltestelle zu einem potentiellen oder tatsächlichen Arbeitsplatz und nach der Arbeit diesen Wegen nach Hause erneut bewältigen kann. Daher muss die Wegstrecke von 500 m viermal täglich zu bewältigen sein, wie auch zweimal täglich die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Die Wegstrecke von 500 m ist pauschal festgelegt, egal ob innerhalb dieser Entfernung von der Wohnung sich überhaupt eine Haltestelle befindet. Es sei zumutbar, in die Nähe einer Haltestelle umzuziehen. Daher bringt die Argumentation nichts, dass innerhalb von 500 m keine Haltestelle vorhanden ist.

Öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten können beispielsweise bei erheblichen Atmungsproblemen oder Orientierungslosigkeit nicht mehr genutzt werden.  

So ist die Wegefähigkeit auch nicht mehr gegeben bei einem eingeschränkten Sehvermögen oder erheblichen Gesichtsfeldeinschränkungen, da zum Beispiel Bodenunebenheiten nicht mehr wahrgenommen werden können und somit Gefahren für sich und Dritte durch Stürze entstehen können.

Zusammenfassung Für die aufgehobene Wegefähigkeit müssen sowohl die Nutzung eines eigenen Pkw ausgeschlossen sein, wie auch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel entsprechend der obigen Ausführungen.

Wegefähigkeit – Erwerbsminderungsrente – Abschaffung eigenen Pkw

Eine Rente wegen Erwerbsminderung kann es nicht nur dann geben, wenn die Erwerbsfähigkeit keine drei Stunden täglich mehr beträgt. Vielmehr kann es die Rente wegen Erwerbsminderung auch bei nicht mehr vorhandener Wegefähigkeit geben.

  1. Was ist Wegefähigkeit? – Fähigkeit Fußwege und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel

Nach § 43 Absatz 2 SGB VI hat ein Versicherter Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn er nicht mehr wegefähig ist. Die Wegefähigkeit setzt voraus, dass der Versicherte nicht viermal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern innerhalb von 20 Minuten zu Fuß bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann.

Hiermit ist gemeint, dass die Fähigkeit bestehen muss, täglich zu einer Arbeitsstelle zu kommen und wieder nach Haus zu kommen. Hierzu muss die Fähigkeit der genannten Fußwege bestehen, was meint:

  • vor der Arbeit von zu Hause zu öffentlichen Verkehrsmitteln zu gelangen
  • von den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu gelangen
  • nach der Arbeit wieder zu öffentlichen Verkehrsmitteln zu gelangen
  • von öffentlichen Verkehrsmitteln wieder nach Haus zu gelangen.

Die Wegstrecke von 500 m ist pauschal gesetzt. Diese ist unabhängig davon, ob innerhalb dieser 500 m tatsächlich eine Haltestelle vorhanden ist und dort öffentliche Verkehrsmittel regelmäßig verkehren. Es soll zumutbar sein, in die Nähe einer solchen Haltestelle zu ziehen, unabhängig davon, ob man zur Miete oder im Eigentum wohnt.

Bewältigt man viermal täglich die Wegestrecke von 500 m jeweils in 20 Minuten zu Fuß, reicht dies noch nicht für die Wegefähigkeit aus. Zusätzlich muss man zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können. Dies kann beispielsweise ausgeschlossen sein, bei bestimmten Atemwegserkrankungen oder bei schmerzhaften orthopädischen Erkrankungen, welche kein Sitzen und Stehen in öffentlichen Verkehrsmitteln erlauben.

2. Wegefähigkeit mit eigenem Pkw

Ist die Wegfähigkeit aufgrund der notwendigen Fußwege oder aufgrund der Nichtnutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach den oben geschilderten Kriterien nicht mehr gegeben, wird geprüft, ob die Wegefähigkeit sich aus der Nutzung des eigenen Pkw ergibt. Kann man selbst noch einen eigenen Pkw führen, ist man in der Lage, eine Arbeitsstelle aufzusuchen und nach der Arbeit mit dem Pkw wieder nach Haus zu kommen. Mithin besteht dann die Wegefähigkeit.

3. Was ist bei Abschaffung des eigenen Pkw?

Besteht die Wegefähigkeit nur noch durch die Nutzung des eigenen Pkw und wird dieser Pkw abgeschafft, dann ist man im Ergebnis nicht mehr wegefähig. Dieses Problem hatte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 08.10.2021 zum Aktenzeichen L 4 R 1015/20 zu entscheiden.

Hier beantragte die Klägerin bei ihrer Rentenversicherung die Rente wegen Erwerbsminderung. Sie verfügte sowohl über eine Fahrerlaubnis und wie auch über einen Pkw. Die Wegefähigkeit bestand nur noch mit Nutzung des Pkw. Daher lehnte die Rentenversicherung die Rente wegen Erwerbsminderung ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid zurückgewiesen, dass die Klägerin beim Sozialgericht Köln Klage erhob.

Während des Klageverfahrens schaffte die Klage den Pkw ab. Hierauf war die Klage erfolgreich. Die Rentenversicherung ging in Berufung, welche vom Landessozialgericht zurückgewiesen wurde.

Nach dem Urteil des Berufungsgerichts ist der Grund für die Abschaffung des Pkw unerheblich. Das Gericht stellte zugleich klar, dass es nicht darauf ankommt, ob die Abschaffung auf einer subjektiv empfundenen Fahrunsicherheit erfolgt oder aus technischen Umständen wie beispielsweise Ablauf des TÜV. Es ist es unerheblich, ob die Abschaffung auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhe.

Entgegen der Ansicht der Rentenversicherung lässt sich ein Ausschluss des Anspruchs nicht begründen. Der Ausschluss nach § 103 SGB VI der Rentenleistung ist möglich, wenn die erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt wurde. Dies war hier nicht der Fall. Es wurden keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen herbeigeführt.

4. Schlussfolgerung für vergleichbare Fälle

Wenn die weitgehend gesundheitlich eingeschränkte Gehfähigkeit nicht vorsätzlich herbeigeführt wird, ist kein Ausschluss der Rentenzahlung nach § 103 SGB VI möglich. Daher kann die Rente wegen Erwerbsminderung nicht versagt werden aufgrund von:

  • Abschaffung eines Pkw
  • Nichtanschaffung eines Pkw
  • Verlust der Fahrerlaubnis
  • Nichterwerb der Fahrerlaubnis

Mangels einer Rechtsgrundlage besteht keine Obliegenheit, einen Pkw anzuschaffen oder zu behalten, bzw. eine Fahrerlaubnis zu erwerben, bzw. zu behalten oder wiederzuerlangen.